EU-Parlament verabschiedet Resolution zum ACTA-Abkommen

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Inzwischen berichten nicht mehr nur die üblichen Verdächtigen (Heise, Golem und der ORF) über die neuesten Entwicklungen rund um das geplante Anti-Produktfälschungs-Abkommen ACTA, sondern auch die deutschen Mainstream-Medien Handelsblatt, taz und Süddeutsche.

Anlass ist die heutige Resolution des Europäischen Parlaments, das nicht nur Einsicht in die Vertragsentwürfe und das Verhandlungsmandat der Europäischen Kommission fordert, sondern auch deutliche Grenzen zieht, was bei den Verhandlungen nicht herauskommen darf.

Den ganzen Irrsinn, der hinter den Maßnahmen steckt, die in den geheimen Verhandlungen anscheinend ernsthaft diskutiert werden, macht der FDP-Abgeordnete Alexander Alvaro deutlich

Kritik übte Alvaro auch an der geplanten Haftung der Internetprovider: »Das ist so, als würde man die Post für den Inhalt jedes Päckchens verantwortlich machen«, sagte der FDP-Experte.
(Handelsblatt vom 10.03.2010)

Niemand käme auf die Idee, die Post dafür verantwortlich zu machen, wenn sie Pakete mit illegal kopierten DVDs oder CDs zustellt, weil das nämlcih voraussetzen würde, dass sie die Inhalte aller Sendungen kontrolliert – zumindest die, die nach DVD oder CD aussehen. Aber wer will schon, dass die Post in jedes Päckchen guckt, ob der Inhalt auch legal ist? Bei Internetprovidern scheinen sich das viele Politiker aber durchaus vorstellen zu können. Zumindest ist die Provider-Haftung eine überaus beliebte Forderung. Aber wer will tatsächlich, dass private Unternehmen bei allen Datenpakete, die sie übermitteln, überprüfen, ob der Inhalt auch legal ist? Was legal ist und was nicht, müssen die Internet-Provider entscheiden. Weil sie dafür haftbar sind, werden sie im Zweifelsfall ein Paket eben nicht weiterleiten. »Provider-Haftung« bedeutet: Total-Überwachung des Internetverkehrs durch private Unternehmen.

Entlarvend ist die Reaktion der Europäischen Kommission auf die Kritik an der Geheimniskrämerei, oder vornehmer ausgedrückt: fehlenden Transparenz.

Ein Kommissionssprecher wies die Kritik zurück. Handelskommissar Karel de Gucht wollte den Abgeordneten noch am Dienstagabend Rede und Antwort stehen. Außerdem würden die Stakeholder regelmäßig über die Verhandlungen informiert.
(Handelsblatt vom 10.03.2010)

Deutlicher hätte die Kommission kaum sagen können, dass die Lobbyisten interessierter Wirtschaftszweige besser informiert werden als die vom Volk gewählten Abgeordneten. Denn einige wichtige »Stakeholder« werden offensichtlich nicht informiert, etwa der Europäische Datenschutzbeauftragte und schon gar nicht Bürgerechts- oder Verbraucherschutz-Organisationen. Und »den Abgeordneten … Rede und Antwort« zu stehen, bedeutet noch lange nicht, ihnen Einsicht in die diskutierten Inhalte oder gar in die konkreten Vertragsentwürfe zu gewähren. Gut informiert sind dagegen Lobbyisten der Pharma-, Medien- und anderen Industrien, die von Anfang an in die Verhandlungen involviert waren.

Details aus den laufenden Verhandlungen bekamen bislang nicht einmal Mitglieder des Europäischen Parlamentes zu Gesicht. Ihnen wird der Zugang zu den Verhandlungsdokumenten verwehrt, während US-Konzerne wie Time Warner, IBM, Monsanto und General Motors vollständig auf die geheimen Papiere zugreifen können, wie aus Wirtschaftsberichten ersichtlich wird. Das gilt auch für die mehr als 100 Lobbyisten aus den Bereichen Unterhaltungsindustrie, Computersoftware, Buchverlage und Pharmaindustrie.
(taz vom 05.03.2010)

Im Übrigen scheinen auch die Verhandlungsführer sich nicht immer im Klaren zu sein, was sie da alles in die Verträge schreiben. So enthält ein »Freihandelsabkommen« zwischen der EU und Südkorea einen Passus zum so genannten »Geistigen Eigentum«, wonach »für erste Beschlagnahmen von beweglichen und unbeweglichen Gütern … ein Verdacht des Rechteinhabers reichen« soll (siehe Heise-Newsticker und FFII). Wenn ich diesen Passus richtig verstehe, hätten im letzten Jahr alle von Microsoft ausgelieferten Office-Pakete beschlagnahmt werden können, weil gegen Microsoft Office ein Patentverfahren lief. Ich kann mir kaum vorstellen, dass so etwas im Sinne der US-Regierung wäre, hege aber Zweifel, dass ihr diese Risiken bei den ACTA-Verhandlungen bewusst sind.

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Kategorien Europa, Urheberrecht