Das Cybersyn-Projekt der Allende-Regierung

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Am 24. Oktober 1970 wurde Salvador Allende mit den Stimmen der Unidad Popular und der Christdemokraten zum chilenischen Präsidenten gewählt. Am 3. November trat er sein Amt an. Der Amtsantritt jährt sich also zum 50. Mal. Die Berichterstattung darüber hat jetzt schon begonnen.

Bereits im April sendete der Deutschlandfunk ein zweiteiliges Feature über das Projekt Cybersyn, dem Versuch der chilenischen Regierung, die verstaatlichten Betriebe mit Hilfe von Fernschreibern über einen zentralen Computer in Echtzeit zu steuern.

  • Mit Technik aus den 1960er Jahren und den begrenzten Mitteln, die der chilenischen Regierung zur Verfügung standen, versucht das Cybersyn-Projekt etwas zu erreichen, was erst in den letzten Jahren im großen Maße realisiert wird: die algorithmische Steuerung von Lieferketten. Heute machen dies jedoch weltweit agierende Konzerne mit weitaus größeren finanziellen und technischen Möglichkeiten.
  • Das Cybersyn-Projekt ist ein gutes Beispiel für den Versuch, Computertechnik für einen emanzipatorischen Zweck einzusetzen.
  • Es ist ein Modell für den intelligenten Einsatz von Künstlicher Intelligenz: Das Computerprogramm sollte die Komplexität der Informationen in einer Weise reduzieren, dass es die Probleme identifiziert, die eine menschliche Entscheidung erfordern, sowie die dazu notwendigen Informationen aufbereitet und im Hintergrund alles andere selbstständig abwickelt. Die Aufbereitung der Informationen wurde allerdings noch weitgehend analog durch Menschen erledigt, weil die zur Verfügung stehende Hardware für eine grafische Benutzeroberfläche zu schwach war.

Der Kontrollraum war in einer Form aufgebaut, die auf deliberative Entscheidungsprozesse zielte. Mehrere Sessel mit Schaltelementen, die zueinander zugewandt im Kreis angeordnet waren. In einer Seitenlehne waren die Schaltflächen eingebaut, in der anderen ein Aschenbecher und ein Getränkehalter. An den Wänden gab es Bildschirme, die allerdings noch analog per Diaprojektor mit Informationen befüllt wurden.

Die beiden Leiter des Projekts waren:

  • Stafford Beer (1926–2002) war ein britischer Experte für Unternehmensplanung, der die Theorien der Biokybernetik für das Management von Unternehmen nutzen wollte, vgl. den Nachruf im Guardian.
  • Fernando Flores (* 1943) war ein junger Ingenieur, als ihm die technische Leitung des Projekts übertragen wurden. Aufgrund der Erfolge des Projektes ernannte ihn Salvador Allende 1973 zum Finanzminister. Nach dem Putsch verbrachte er drei Jahre in Gefangenschaft, konnte dann aber aufgrund des internationalen Drucks durch Amnesty International mit seiner Familie nach Kalifornien emigrieren und arbeitete dort an der Stanford University.

Literatur

Medina, Eden (2014): Cybernetic revolutionaries: technology and politics in Allende’s Chile. Cambridge, Mass.: MIT Press.
ISBN 978-0-262-52596-1

Winograd, Terry; Flores, Fernando (1986): Understanding computers and cognition: a new foundation for design. Norwood: Ablex.
ISBN 0-89391-050-3

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Kategorien Digitalisierung, Politik