»Es ist eine Idiotie zu denken, Wahlen werden in der Mitte gewonnen«

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Am letzen Montag war ich bei einem Vortrag von Chantal Mouffe im Deutsch-Amerikanischen Institut Nürnberg. Ihre Hauptthese war, dass die Demokratie einen Wettstreit, einen αγών zwischen verschiedenen Ideen und politischen Lagern darstellt. Der Fehler der Linken in Europa sei es, dass sie diesem Agon aus dem Weg geht und statt dessen versucht, die Wahlen „in der Mitte“ zu gewinnen.

Die Kommunalwahlen in Italien sind ein hervorragender Beleg dafür. Die Niederlage des rechtspopulistischen Parteienbündnisses um Berlusconi ist sehr viel heftiger ausgefallen, als ich es mir in meinen kühnsten Hypothesen erträumt habe. Der Überblick auf der Internetseite der Repubblica macht es deutlich: Das Mitte-Links-Bündnis hat die Stichwahlen fast überall gewonnen – auch in Städten, die als Hochburgen des Rechtsbündnisses galten, wie Cagliari, Novara oder eben Mailand.

Die Erfolge in Mailand und Neapel sind aber vor allem deshalb lehrreich, weil dort nicht die „offiziellen“ von der Demokratischen Partei unterstützten Kandidaten gewonnen haben, sondern Außenseiter, die sich viel klarer gegen die Rechtspopulisten positioniert haben. In Mailand hatte sich Giuliano Pisapia (der von 1996 bis 2006 als unabhängiger Kandidat auf der Liste der Rifondazione Communista im Parlament saß) bereits in den Vorwahlen gegen den gemäßigten Kandidaten durchgesetzt, der von der Parteispitze der Demokratischen Partei favorisiert worden war. In Neapel ist es ohnehin nur deshalb zu einer Stichwahl gekommen, weil die Stimmen des Mitte-Links-Lagers sich auf zwei Kandidaten verteilten, wobei es nicht der Kandidat der Demokratischen Partei in die Stichwahl schaffte, sondern der der kleinen liberalen Antikorruptionspartei Italien der Werte. Im Übrigen wird es mir immer unverständlich sein, warum die deutsche Presse Luigi de Magistris, der im Europäischen Parlament zusammen mit Gianni Vattimo und den Abgeordneten der FDP in der Fraktion ALDE sitzt, als „Linken“ bezeichnet. Wie dem auch sei: In beiden Städten haben nicht die von den Partei-Apparaten des Mitte-Links-Bündnisses favorisierten „gemäßigten“ Kandidaten gewonnen, sondern radikale Außenseiter.

Michael Braun kommentiert in der taz deshalb zurecht:

In Neapel wie auch in Mailand hatten Kandidaten Erfolg, die eigentlich als chancenlos galten – weil sie „zu radikal“ waren. Womöglich gewannen sie am Ende gerade deshalb.

Paolo Flores d’Arcais, Herausgeber der Zeitschrift Micromega und zur Zeit wohl der herausragende Theoretiker der unabhängigen italienischen Linken, bringt es in einem Video-Kommentar auf den Punkt:

La prima lezione di questa tornata elettorale è molto chiara: È una pura illusione, anzi una pura semplice idiozia l’idea che si vince al centro.
Die wichtigste Lektion aus diesem Wahlgang ist sehr klar: Es ist eine reine Illusion, ja es ist schlicht und einfach eine Idiotie zu denken, dass Wahlen in der Mitte gewonnen werden.

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Kategorien Demokratie, Italien