Deutschland blockiert ein soziales Europa

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Am 9. Juni hat der EU-Ministerrat eine politische Einigung zu den Richtlinien über Arbeitszeit und Zeitarbeit erzielt. Unser Bundesarbeitsminister Olaf Scholz kommentierte die Einigung mit folgenden Worten

Das sind wichtige Bausteine eines sozialen Europas. Sie sorgen dafür, dass Wettbewerb nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgetragen wird.

Für jeden, der die Hintergründe dieser Einigung kennt, muss dieser Kommentar als blanker Zynismus erscheinen. Denn bei beiden Richtlinienentwurfen stand Deutschland an vorderster Front der Staaten, die eine arbeitnehmerfreundlichere Regelung verhindert haben.

Bei der Arbeitszeitrichtlinie ging es darum, dass nach der bisherigen EU-Regelung die traditionelle deutsche Praxis, Bereitschaftszeiten nicht als Arbeitszeiten zu werten, illegal war. Deshalb mussten in Deutschland z. B. aufgrund des EU-Rechts die Arbeitszeitregelungen für Krankenhausärzte geändert werden. Hier hat Deutschland jetzt erreicht, dass in der neuen Arbeitszeitrichtlinie zwischen »aktiven« und »inaktiven« Bereitschaftszeiten unterschieden wird, wobei die »inaktiven« Zeiten nicht als Arbeitszeit gewertet werden. Der Marburger Bund befürchtet nun, dass es für Ärzte an deutschen Krankenhäusern bald »erneut Mammutdienste von bis zu 78 Stunden« pro Woche gibt.

Auch bei der Zeitarbeitsrichtlinie gehört Deutschland zusammen mit Großbritannien zu den Blockierern, die sich gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung von Zeitarbeitern gewendet haben. In diesem Fall haben sie – genauso wie bei der Arbeitszeitrichtlinie – eine Opt-Out-Klausel erreicht, die es möglich macht, den Gleichbehandlungsgrundsatz per Tarifvertrag auszuhebeln. Solche Opt-Out-Klauseln sind aber geradezu eine Einladung zum Sozialdumping. Denn irgendeine Gewerkschaft, die aus Sorge um Arbeitsplätze bereit ist, ungünstigere Bedingungen für Arbeitnehmer zu akzeptieren, wird sich immer finden. Das zeigt sich gerade in der Zeitarbeitsbranche, wo es in Deutschland einem der drei Arbeitgeberverbände gelungen ist, mit einer so genannten »christlichen« Gewerkschaft einen Tarifvertrag mit deutlich niedrigeren Tariflöhnen auszuhandeln als der ver.di-Tarifvertrag.

Kein Wunder, dass die spanische Regierung das gar nicht so lustig findet und die politische Einigung als »Angriff« auf die Arbeitnehmerrechte auffasst.

Warum muss Olaf Scholz die Einigung dann als Erfolg für die Rechte der Arbeitnehmer verkaufen? Warum kann er nicht ehrlich sein und etwas sagen wie: »Die beiden Richtlinien stellen einen guten Kompromiss zwischen den Interessen der Arbeitnehmer und denen der Arbeitgeber dar«? Oder noch ehrlicher: »Man kann es mit den Arbeitnehmerrechten auch übertreiben. Zum Glück ist es uns gelungen, das Schlimmste zu verhindern«?

Vielleicht hätten die Arbeitnehmer in Deutschland ja diese Ehrlichkeit honoriert und gesagt: »Genau. Nur mit Sozialdumping kann Deutschland im internationalen Wettbewerb bestehen!« Statt dessen dürften sie sich ziemlich verschaukelt fühlen.

Was mich betrifft, ich schäme mich, dass Deutschland in der Europäischen Union durch eine Regierung vertreten wird, die weitere Fortschritte zu einem sozialen Europa blockiert.

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Kategorien Europa, Politik