First Song & Copyright

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Letztes Wochenende habe ich in meiner umfangreichen CD-Sammlung gewühlt und eine CD herausgegriffen, die ich mir irgendwann einmal von einem Freund kopiert habe. Davon gibt es nicht viele in meiner Sammlung – auf jeden Fall deutlich weniger als die CDs, die sich als Fehlkäufe erwiesen haben und die ich nie höre.

Auch diese CD habe ich nicht oft gehört, Vielleicht war es ja das schlechte Gewissen, weil mir nicht klar ist, ob diese Kopie noch in den Bereich des Fair Use fällt, also eine erlaubte Privatkopie ist. Wie dem auch sei: Diesmal habe ich sie richtig gehört und eine echte Entdeckung gemacht: dass Charlie Haden nicht nur ein hervorragender Bassist ist, sondern auch einige wunderschöne Stücke komponiert hat.

Denn die CD, Stan Getz »Café Montmartre«, hört mit einer unglaublichen Interpretation von Charlie Hadens “First Song (for Ruth)” auf (für alle, die es nachspielen wollen, gibt es eine Transkription bei JazzItalia). Ich habe dieses Stück seither jeden Abend gehört. Heute habe ich mir die CD dann »legal« erworben und gleich aus Neugier die CD mit Abbey Lincolns Interpretation des First Song noch dazu.

Ehrlich gesagt: Ohne die – aus Sicht der Musikindustrie wohl illegale – Kopie hätte ich diese CD wohl nie entdeckt und nie gekauft … und der Musikindustrie wären sogar Einnahmen entgangen.

Die Verlustrechnungen, die die Musikindustrie immer aufstellt, wenn sie mal wieder über die Zunahme an »Raubkopien« und ihre schlechten Geschäfte lamentiert, kann ich ohnehin nicht verstehen. Wenn sich alle an die Vorstellungen von »Geistigen Eigentum« (ohne Fair Use) halten würden, die die Musikindustrie vertritt, würde die Musikindustrie nicht mehr verkaufen, sondern die Leute weniger (Konserven-)Musik hören.

Als ich Teenie war, habe ich ganze Nächte damit verbracht, Musik aus dem Radio mitzuscheiden. Ich bin regelmäßig in die Stadtbibliohtek gegangen, habe mir Schallplatten ausgeliehen und zu hause auf Cassette aufgenommen, wenn sie mir gefallen haben. Und wenn sie mir besonders gut gefallen haben und es sie in den Plattenläden unser Provinzstadt gab (was nicht sehr oft der Fall war), habe ich sie mir auch gekauft.

Zum Glück musste man damals als Jugendlicher noch nicht damit rechnen, dass irgendwann eine Abmahnung oder Anzeige wegen Urheberrechtsverletzung ins Haus flatterte. Schließlich ließen sich Copyright-Verletzungen damals noch nicht so leicht zurückverfolgen wie heute in Zeiten des Internets. Und ich hätte sicher auch nicht mehr Schallplatten gekauft, wenn das Kopieren und Mitschneiden risikoreicher gewesen wäre und es damals schon Kampagnen wie »Raubkopierer sind Verbrecher« gegeben hätte. Ich hatte einfach nicht mehr Geld für Schallplatten zur Verfügung. Und ich hätte wohl auch kaum eine Schallplatte gekauft, die ich vorher nicht aus anderen Quellen gut genug kannte.

Aber das wird die Musikindustrie wohl nie verstehen. Sie schikaniert ihre zahlenden Kunden mit Kopierschutz, DRM und Rootkits (warum nur gibt es diese unsäglichen »Raubkopierer sind Verbrecher«-Spots noch nicht auf CDs?). Sie beschimpft diejenigen, die sie als Kunden gewinnen will, als Verbrecher (wenn sie sie nicht gleich mit Abmahnungen und Anzeigen überzieht). Und da wundert sie sich, dass ihre Umsätze zurückgehen.

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Kategorien Urheberrecht, Musik