Streit zwischen Linotype und Microsoft

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Die Kunst, die kreativen Leistungen anderer zum eigenen »geistigen Eigentum« zu machen, beherrscht Microsoft an sich in Perfektion. Doch der Versuch, das Design der Standardschriftart für den neuen Windows-Desktop als europäisches Geschmacksmuster schützen zu lassen, ist glücklicherweise gescheitert. Da war die Ähnlichkeit zur Frutiger und deren überarbeiteten Fassung Frutiger Next dann doch zu groß. Aber möglicherweise hätte auch diese Ähnlichkeit nicht geschadet, wenn die Firma Linotype nicht aufmerksam genug gewesen wäre, Einspruch gegen dieses »Geschmacksmuster« einzulegen.

Schon die Anfänge von Microsoft bestanden darin, Software aus der Public Domain mit den kostenlosen Ressourcen der Universität weiterzuentwickeln und unter einer restriktiven Lizenz für Geld zu verkaufen. Bis heute bedient sich Microsoft gerne aus allem, was kostenlos verfügbar ist (etwa Software, die unter einer BSD-Lizenz steht), und stellt die eigenen Produkte dann unter eine Lizenz, die den Käufern kaum Rechte einräumt. Gegen Open-Source-Software hat Microsoft nur dann etwas, wenn sie unter einer Lizenz steht, die verlangt, dass Programme die sich dieser Quellen bedienen ebenfalls als Open Source veröffentlicht werden.

Hinzu kommt, dass sich Microsoft zunehmend der Möglichkeiten der vielen neuen und veränderten Rechtstitel zum so genannten »geistigen Eigentum« bedient, Ideen anderer übernimmt, sie leicht abwandelt und dann schützen lässt.

Ein Beispiel dafür ist das Office-XML-Dateiformat, das Microsoft sich patentieren ließ, obwohl die Grundidee schon viel früher von wenig bekannten Programmen wie AbiWord oder KOffice verwendet wurde. Wahrscheinlich ist das rechtlich alles sogar in Ordnung, weil der Patentanspruch so formuliert wurde, dass die früheren Dateiformate nicht darunter fallen. Aber wenn für Patente noch der Anspruch gelten würde, dass sie über den allgemeinen Stand der Technik hinausweisen, wären diese Patente wahrscheinlich nicht möglich.

Dass Microsofts Kreativität vor allem im juristischen Bereich liegt, zeigt der Streit um die Standard-Schriftart des zukünftigen Windows-Vista-Desktops. »Segoe UI« ist eines von vielen Plagiaten der berühmten Frutiger, das sich bis in die Metriken der einzelnen Zeichen ans Vorbild hält. Im Unterschied zu anderen hat Microsoft jedoch die Dreistigkeit besessen, sich dieses Plagiat als europäisches »Geschmacksmuster« (“European Community Design”) eintragen zu lassen. Auf diese Weise würde die Kopie einen höheren rechtlichen Schutz erhalten, als ihn das Original je besessen hat. Denn das europäische »Gemeinschaftsgeschmacksmuster« gibt es erst seit dem 6. März 2002. Da war die Frutiger längst Geschichte, und auch die Frutiger Next war bereits veröffentlicht.

Kein Wunder, dass die Firma Linotype Einspruch gegen dieses »Geschmacksmuster« erhoben hat:

Bruno Steinert bekräftigte auf unser Nachfragen hin nochmals, daß der Einspruch Linotypes sich nicht auf Plagiatsvorwürfe der Frutiger bezog (die Schutzfrist für das Design der Frutiger ist abgelaufen), sondern alleine darauf basierte, daß Microsoft mit dem Antrag einen höheren Schutz für das Derivat erwirken wollte, als es das Original jemals besessen hatte.
(Ingo Preuss: Nachtrag zum Segoe UI-Frutiger-Streit, www.typeforum.de, 24. Feburar 2006)

Internetadressen zu diesem Thema:

  • Gerrit van Aaken: Neues zum Streit zwischen Linotype und Microsoft. praegnanz.de, 24. Februar 2006.
  • Ingo Preuss: Nachtrag zum Segoe UI-Frutiger-Streit. www.typeforum.de, 24. Februar 2006.
  • Ingo Preuss: Schriftendiebstahl als Prinzip? www.typeforum.de, 5. Januar 2006.
  • Jacob Klein: Der Bauch des »a«. Grafiker werfen Microsoft vor, die Standardschrift für das neue Windows Vista geklaut zu haben. Es wäre nicht das erste Mal, dass solche Vorwürfe erhoben werden. In: Süddeutsche Zeitung vom 21. Dezember 2005.
  • Gerrit van Aaken: Arial geht, Segoe kommt. pragnanz.de, 5. Mai 2004, update am 21. Dezember 2005.
  • Fredrick Nader: A Second Helping. The Two Ms Do It Again. www.hardcovermedia.com, 2. Dezember 2003.

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Kategorien Urheberrecht, Unternehmen