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Ich hatte noch keine Zeit, die Begründung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung vollständig zu lesen (dazu komme ich wohl frühestens am Wochenende), aber die Leitlinien und das Urteil selber machen schon einiges deutlich.

Das Bundesverfassungsgericht hat die entscheidenden Teile des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21. Dezember 2007 für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Die bislang im Rahmen dieses Gesetzes gesammelten Daten »sind unverzüglich zu löschen«; neue Daten dürfen nicht gesammelt werden.

Allerdings hat das Gericht »eine sechsmonatige, vorsorglich anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten durch private Diensteanbieter« nicht grundsätzlich für grundgesetzwidrig erklärt und die Gültigkeit der EU-Richtlinie nicht in Frage gestellt.

Das ist einerseits problematisch, weil aus meiner Sicht eine verdachtsunabhängige Speicherung von Daten an sich die Rechte auf Privatsphäre und Datenschutz bedroht, vor allem aber weil damit wieder einmal die Frage suspendiert wird, ob es der Bundesregierung möglich ist, über die EU den im Grundgesetz garantierten garantierten Grundrechtschutz auszuhebeln. Schließlich hat unsere damalige Justizministerin Brigitte Zypries die Richtlinie auf EU-Ebene mit vorangetrieben.

Andererseits wird dadurch die Kritik an der Bundesregierung noch schärfer. Anders als es Frau Zypries der Öffentlichkeit immer weismachen wollte, handelt es sich nicht um eine besonders behutsame Umsetzung der Richtlinie, die in der Einschränkung der Grundrechte nicht über das von Richtlinie geforderte Mindestmaß hinausgeht; vielmehr ergibt sich die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes gerade aus den Aspekten, die über die EU-Richtlinie hinausgehen. Ich bin gespannt, was Frau Zypries jetzt dazu sagt.

Ich finde deshalb, dass man das Urteil als Erfolg für die Grundrechte auf Datenschutz und Privatsphäre feiern kann und sollte. Schärfer konnte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzes und den Verstoß des Gesetzgebers gegen die Verfassungsnormen nicht verurteilen.

Das sollte gerade den Befürwörtern der Vorratsdatenspeicherung von CDU/CSU und SPD klar gemacht werden, die schon wieder dabei sind, sich das Urteil schön zu reden und die baldige Vorlage eines neuen Gesetzentwurfs fordern.

Das nun gerade diejenigen, die bis vor kurzem grundlegende Kritikpunkte, die im Urteil des Verfassungsgerichts aufgegriffen werden, wie den Schutz vor dem Missbrauch der Daten, nicht einmal verstanden haben, nun in Windeseile ein neues Gesetz zusammenschustern wollen, ist schon eine Frechheit.

Ich denke, dass das Verfassungsgericht das Gesetz auch deshalb für nicht erklärt und nicht einfach eine Frist zur Überarbeitung gesetzt hat, um einer Mentalität von Politikern entgegenzusteuern, die im Zweifelsfall auch verfassungswidrige Gesetze in Kauf nehmen, weil die sich dann ja anhand der Vorgaben des Verfassungsgerichts leicht wieder überarbeiten lassen.

Den Verfechtern der Vorratsdatenspeicherung hilft da auch das Argument nicht viel, dass Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste nun überhaupt keine Rechtsgrundlage für die Abfrage von Kommunikationsdaten haben. Denn dass es so weit gekommen ist, liegt nicht an denen, die vor dem Verfassungsgericht geklagt haben, und schon gar nicht am Bundesverfassungsgericht, das Verfassungswidrigkeit des Gesetzes festgestellt hat, sondern an denen, die diese verfassungswidrige Umsetzung der EU-Richtlinie verfasst und beschlossen haben.

Für die Gegner des Vorratsdatenspeicherung heißt es jetzt, sich für die Aufhebung der Vorratsdatenspeicherung in ganz Europa einzusetzen. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Vor dem Bundesverfassungsgericht haben auch die Verfassungsgerichte von Bulgarien und Rumänen die dortige Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt. Die schwedische Regierung will trotz eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs keinen Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie vorlegen. Auch in Österreich stockt der Umsetzungsprozess und es formieren sich immer mehr Gegner. So hat der Wiener Gemeinderat die österreichische Bundesregierung aufgefordert, die Vorratsdatenspeicherung nicht in österreichisches Recht umzusetzen. Schließlich hat auch die EU-Justizkommissarin Viviane Reding angekündigt die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung grundlegend zu überprüfen.

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Kategorien Vorratsdatenspeicherung, Europa

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Ich lese gerade Konrad Paul Liessmanns »Theorie der Unbildung«. Das Buch hat zwar einen stark kulturpessimistischen Zug, aber es enthält eine Fülle anregender Gedanken. Möglicherweise macht gerade dieser konservative Zug, insbesondere das unbeirrte Festhalten am Humboldtschen Bildungsideal, den Reiz dieses Buches aus. Liessmann schert sich einfach nicht darum, dass es inzwischen völlig »out« ist, das Humboldtsche Bildungsideal und die humanistische Bildung im Sinne des Studiums der altgriechischen Sprache und der klassischen griechischen Kultur hochzuhalten. Er tut es einfach und begründet seine Position – im Unterschied zu den »Reformern«, die die Überholtheit dieser Konzepte als selbstverständlich voraussetzen.

Wissensgesellschaft oder Industrialisierung des Wissens

Besonders interessant ist das zweite Kapitel, in dem Liessmann die Frage stellt: »Was weiß die Wissensgesellschaft?« Darin kritisiert er zunächst, dass »lebenslanges Lernen« zum Selbstzweck geworden ist und das es gar nicht mehr um die Inhalte des Wissens geht, die ohnehin nur kurzlebig sind. Anschließend erläutert er jedoch, dass die aktuelle Entwicklung kaum in Richtung einer Wissensgesellschaft im emphatischen Sinne geht, sondern vor allem die Industrialisierung des Wissens betreibt.

Der »Wissensarbeiter« entpuppt sich als Phänotyp eines Wandels, der nicht dem Prinzip des Wissens, sondern dem der industriellen Arbeit gehorcht. Es ist nicht der Arbeiter, der zum Wissenden, sondern der Wissende, der zum Arbeiter wird. Wäre es anders, würde man Unternehmen in Universitäten und nicht Universitäten in Unternehmen verwandeln.

Einen Schwachpunkt hat die Argumentation jedoch: Obwohl Liessmann zu dem Schluss kommt, dass das Wissen den »Parametern einer kapitalistischen Ökonomie« unterworfen wird und nur von Bedeutung ist, insofern es »unmittelbar verwertet werden kann«, geht er nicht darauf ein, welche Bedeutung das Regime des so genannten »geistigen Eigentums« für die Wissensgesellschaft hat. Nur so kann er zu dem Schluss kommen, dass sich seit der frühen Neuzeit nichts grundlegend geändert hat. Das »geistige Eigentum« – insbesondere in der Form, die es heute hat – ist jedoch eine deutlich jüngere Entwicklung.

Was ist aus den linken Reformen geworden?

Während ich mich über die Umdeutung des Begriffs der »Reform« im Sinne der neoliberalen Ideologie ärgere, kritisiert Liessmann die Bildungsreformen der 60er/70er Jahre genauso wie die aktuellen Reformen. Im Grunde haben die emanzipatorisch gedachten »linken« Reformen die Industrialisierung und Ökonomisierung des Bildungssystems vorbereitet. Hier scheint etwas Ähnliches passiert zu sein wie bei der Liturgiereform in der Katholischen Kirche: eine emanzipatorische gedachte Reform wird für konservative Zwecke instrumentalisiert. Bei der Bildungsreform wird allerdings deutlich, dass die »linken« Reformpläne daran nicht unschuldig sind. Denn ihr technokratischer Charakter, der sich gut in die Ökonomisierung des Bildungssystems einfügt, kam nicht von außen, sondern war den Reformplänen von Anfang an immanent. Das beste Beispiel ist die technokratische Konzeption der Gesamtschule.

Was heißt humanistische Bildung?

Liessmann behauptet ganz naiv den Modellcharakter der klassischen griechischen Kultur – unbeirrt vom naheliegenden Vorwurf des Eurozentrismus. Dabei ignoriert er jedoch, dass zum humanistischen Bildungskanon nicht nur die griechische Sprache und Kultur, sondern auch die hebräische Sprache und das jüdisch-christliche Erbe dazu gehören (streng genommen auch lateinische Sprache und römische Kultur). Der humanistische Bildungskanon ist im Kern pluralistisch: Athen, Jerusalem und Rom stehen nicht nur für verschiedene Sprachen, sondern für verschiedene Kulturen, für verschiedene Modelle des Denkens, der politischen Ordnung und des gesellschaftlichen Lebens. Gerade in Bezug auf diese Pluralität kann sie ihr wichtigstes Ziel erreichen: Das Denken vor der bedingungslosen Unterwerfung unter den Zeitgeist zu bewahren.

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Kategorien Urheberrecht, Neoliberalismus

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Von der deutschen Presse weitgehend unbeachtet nimmt inzwischen die Zahl der Kritiker an den geheimen Verhandlungen über ein »Anti-Fälschungs-Handelsabkommen« (“Anti-Counterfeiting Trade Agreement” ACTA) zu. Gestern hat der Europäische Datenschutzbeauftragte Peter Johan Hustinx in einer offiziellen Stellungnahme die ACTA-Verhandlungen in außergewöhnlich scharfer Weise kritisiert.

Er bedauert, »dass er von der Europäischen Kommission nicht über die Inhalte eines Abkommens angehört wurde, das die individuellen Grundrechte insbesondere auf Privatsphäre und Datenschutz betrifft«. Es sei nicht hinzunehmen, dass Verhandlungen über ein Abkommen, das tief in die Datenschutz- und Verbraucherrechte eingreift, unter Geheimhaltung gestellt werden. Auch wenn der Schutz von Immaterialgüterrechten wichtig sei, dürften diese nicht über die Grundrechte auf Privatsphäre und Datenschutz gestellt werden.

“Privacy and data protection must be taken into account from the very beginning of the negotiations, not when the schemes and procedures have been defined and agreed and it is therefore too late to find alternative, privacy compliant solutions.”

Die in den ACTA-Verhandlungen (sowie anderen Kontexten) diskutierten Maßnahmen stellen einen tiefen Eingriff in Privatsphäre und Datenschatz dar, weil sie eine vollständige Beobachtung des individuellen Internetgebrauchs implizieren – noch dazu von privaten Unternehmen durchgeführt.

“Such practices are highly invasive in the individuals’ private sphere. They entail the generalised monitoring of Internet users’ activities, including perfectly lawful ones. They affect millions of law-abiding Internet users, including many children and adolescents. They are carried out by private parties, not by law enforcement authorities. Moreover, nowadays, Internet plays a central role in almost all aspects of modern life, thus, the effects of disconnecting Internet access may be enormous, cutting individuals off from work, culture, eGoverment applications, etc.”

Hustinx wendet sich insbesondere gegen:

  • die so genannte Three-Strikes-Regelung, der zufolge nach drei mutmaßlichen Copyright-Verstößen der Zugang zum Internet getrennt werden soll,
  • die Verpflichtung von Providern, den Datenverkehr ihrer Nutzer verdachtsunabhängig auf mutmaßliche Copyright-Verstöße zu untersuchen, sowie andere Eingriffe in Privatsphäre und Datenschutz,
  • die Intransparenz der Verhandlungen.

Er plädiert dafür, statt den Vertrag in geheimen Verhandlungen auszuhandeln, seine Inhalte zum Gegenstand einer öffentlichen Anhörung zu machen.

Wie der EUObserver berichtet, hat inzwischen auch die britische Regierung die Idee einer Three-Strikes-Regel verworfen, weil sie sich nur schwer vorstellen kann, bei welchen Verstößen das Sperren des Internetzugangs verhältnismäßig sein könnte.

“We will not terminate the accounts of infringers – it is very hard to see how this could be deemed proportionate except in the most extreme and therefore probably criminal cases.”

Die französische Regierung haben solche Bedenken freilich nicht gestört.

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Nachtrag vom 24. Februar 2010

Inzwischen habe ich entdeckt, dass auch Spiegel Online über die Kritik an den ACTA-Verhandlungen berichtet – allerdings etwas verschämt unter der Rubrik Internetrecht. Von der Startseite aus, wird man wohl kaum darauf stoßen. Meines Erachtens wäre aber schon allein die Art und Weise, wie hier demokratische Entscheidungsprozesse und Kontrollinstanzen umgangen werden, einen Bericht ganz oben im Politik-Ressort wert. Auch die Financial Times Deutschland berichtet. Seltsam, dass bei Google News ansonsten nur dezidierte IT-Nachrichtenportale und österreichische Medien auftauchen.

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Kategorien Datenschutz, Europa

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Der inszenierte Hype um das iPad nervt nicht nur ungemein, er lässt mich auch irgendwie ratlos zurück. Warum machen so viele »Qualitäts«-Journalisten kostenlos Werbung für ein Gerät, dass sie noch nicht einmal selber ausprobieren konnten? Wo andere teure Werbekampagnen starten müssen, bekommt Apple die Werbung ganz umsonst. Machen Journalisten und Verlage sich so nicht überflüssig?

Eigentlich wollte ich mich dazu ja nicht äußern. Denn mein belangloser Kommentar würde dem Hype ja nur zuspielen. Aber nun habe ich doch noch einen wirklich glänzenden Artikel zum Thema entdeckt. Jörg Kantel, bekannt durch seinen Blog Schockwellenreiter, schreibt in der Online-Ausgabe der FAZ vom 3. November 2010: Das iPad ist nur eine Fernbedienung.

Das iPad ist also kein Computer im Sinne einer Universalmaschine mehr, sondern eine Abspielplattform für die Inhalte der Medienkonzerne. Das iPad macht aus dem Two-Way-Web wieder eine Einbahnstraße und zwar eine, für deren Nutzung gezahlt werden muss.

Das einzig Revolutionäre am iPad ist, dass es konsequent als Empfangsgerät für die Bezahlangebote von Apple konzipiert ist. Selbst um einen USB-Speicherstick anzuschließen, muss man erst noch eine Erweiterung kaufen. Deshalb ist das iPad vor allem ein Element in der Kommerzialisierung des Internets, in dem seit Mitte der 1990er Jahre tobenden Streit zwischen zwei Konzeptionen des Internets – in den Worten von Jörg Kantel:

Auf der einen Seite die, die das Internet als eine Erfüllung des nie eingelösten Versprechens der Brechtschen Radiotheorie sehen, als ein Medium, in dem jeder Empfänger auch gleichzeitig Sender sein kann. Der amerikanische Internetpionier Dave Winer etwa spricht vom „Two-Way-Web“, davon, dass das Web eine „Umgebung für Schreiber, nicht nur für Leser“ sei. Auf der anderen Seite sitzen die Vertreter der Unterhaltungskonzerne, für die das Netz nur ein weiterer Distributionskanal der klassischen Medien ist, angereichert um ein paar interaktive Spielereien.

Lawrence Lessig spricht vom Unterschied zwischen einer “RW = Read/Write” und einer “RO = Read Only Culture”.

Deshalb gibt es bei den Presseverlagen, die nun auf Werbeinnahmen verzichten und kostenlos für das iPad werben, immerhin auch ein Eigeninteresse. Denn das iPad bietet ihnen eine neue Möglichkeit, über das Internet Geld zu verdienen. Aber warum rührt auch das ZDF so kräftig die Werbetrommel für das iPad? Finanzieren wir mit unseren Rundfunkgebühren jetzt auch noch Werbung für Apple?

Ein anderer aktueller Streit gehört in den gleichen Kontext. Auch beim Streit um das Standardformat für eingebettete Videos in HTML 5 geht es um den Kampf zwischen diesen beiden Konzeptionen des Internet. H.264 mag Ogg Theora technisch überlegen sein, aber Firmen wie Microsoft und Apple würden Ogg Theora auch dann nicht unterstützen, wenn es technologisch gleichwertig oder sogar überlegen wäre – eben deshalb, weil dieser freie Codec nicht zu ihrem Geschäftsmodell passt. Und auch Google hat nur die Kunst zur Perfektion getrieben, über Crowd-Sourcing die kostenlos zur Verfügung gestellte Kreativität ihrer Nutzer zur Generierung von Werbeeinnahmen zu nutzen. Ihnen allen spielt ein durch Patente geschützter Standard in die Hände.

Auch wenn so mancher Apple-Fan nun Free-Software-Browser, die schon aus rechtlichen Gründen H.264 nicht »out of the box« unterstützen können, für »uncool« erklärt So cool möchte ich gar nicht sein.

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Eigentlich habe ich mein Zeit-Abo nicht nur deshalb zum Jahresende gekündigt, weil ich kaum noch dazu komme, sie zu lesen, sondern auch deshalb, weil ich in letzter Zeit immer öfter einfach abgrundtief schlechte Artikel darin gelesen habe.

Diese Woche ist es anders. Gleich beim ersten Durchblättern habe ich eine Reihe lesenswerter Artikel entdeckt:

  • Im Wirtschaftsteil erläutert Heike Buchter, wie es die großen Banken in den USA geschafft haben, eine strenge Kontrolle über den Handel mit Derivaten zu verhindern (»Die Wall Street siegt« auf S. 27, anscheinend nicht online). Ein Trick, den große Unternehmen immer wieder erfolgreich einsetzen, besteht darin, Kunden (die von dem Unternehmen abhängig sind) unter Druck zu setzen, sich für die Interessen des Unternehmens stark zu machen. Plötzlich treten nicht nur die üblichen Lobbygruppen gegen eine Regulierung des Derivaten-Handels ein, sondern auch scheinbar unverdächtige mittelständische Unternehmen.
  • Ebenfalls im Wirtschaftsteil kritisiert der Präsident des Bitkom die hektische und chaotische Trial-and-Error-Politik in Bezug auf die Regulierung des Internets (auf S. 33, anscheinend auch nicht online). Es tut gut, in einer Zeitung, in der ausgerechnet die fest angestellten Redakteure gerne die Mär vom Internet als »rechtsfreien Raum« vertreten, zu lesen, dass das Problem eher darin besteht, dass das Internet in Deutschland »in weiten Bereichen überreguliert« ist.
  • In der Rubrik Wissen gibt es ein Interview mit Lars Fischer, dem Initiator der Onlinepetititon für den freien Zugang zu den Ergebnissen öffentlich finanzierter Forschung (Open Access). Da hätte ich mir zwar gewünscht, dass er die zum Teil schiefen Fragen zurecht rückt (so ist beispielsweise eine Peer-Review bei Open-Access-Zeitschriften viel verbreiteter als bei klassischen deutschen Wissenschaftszeitschriften). Aber wahrscheinlich ist es taktisch geschickter so etwas einfach zu ignorieren und davon unbeirrt sachlich zu antworten. Auch hier hat sich die Redaktion der Zeit im Anschluss an den Heidelberger Appell noch an den wilden Polemiken gegen Open Access beteiligt.
  • Im Feuilleton schließlich vertritt Boris Groys die These, dass vom Sozialstaat am meisten die Reichen profitieren (auf S. 56, inzwischen auch online). Die Schlussfolgerung macht mir zwar eher Angst, aber der Artikel enthält ein Reihe anregender und guter Argumente, z. B. die Beobachtung, dass zu den Superreichen nicht nur Öl-Magnaten gehören, sondern die Besitzer von Einzelhandels-Ketten wie Aldi und Ikea, die mit Billigware reich geworden sind, weil der Sozialstaat dafür sorgt, dass es genügend Leute gibt, die sich solche Billigware gerade noch leisten können. Interessant auch die folgende Überlegung:

Die kumulative Kaufkraft der Mittelschicht ist viel niedriger als die kumulative Kaufkraft der unteren Einkommensstufen. Damit sind alle Ansprüche, in einem Café zu sitzen und Proust zu lesen, statt auf einem großformatigen Bildschirm inmitten einer großen Menschenmenge Fußball anzuschauen, automatisch erledigt. Diese Ansprüche gelten inzwischen übrigens nicht nur als ökonomisch unerfüllbar, sondern auch als moralisch verdächtig, arrogant, dekadent und sogar unmenschlich.

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Kategorien Open Access, Umverteilung