Berge und Hügel brechen in Jubel aus

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Schlosspark Belvedere Weimar
Schlosspark Belvedere Weimar

Ostern ist das Fest der Auferstehung. Meist verstehen wir das im Sinne der Hoffnung auf ein individuelles Leben nach dem Tod. Aber die Auferstehungshoffnung hat auch eine kosmische Dimension: Mensch und Natur werden von der Macht des Todes befreit. Der neue Exodus, der Auszug aus der Sklaverei, den wir an Ostern feiern, bedeutet nicht nur das Ende der Ausbeutung von Menschen durch Menschen, sondern auch der Ausbeutung der Natur durch den Menschen.

Die Osterliturgie beginnt mit dem Schöpfungsbericht und der Aufforderung »Macht euch die Erde untertan!« (Gen 1,28), die wir intuitiv als Befehl verstehen, die Erde besinnungslos auszubeuten. Aber im weiteren Verlauf erzählt die Bibel, wohin Gewalt, Unterdrückung und Ausbeutung führen. Die Bibel ist keine Anleitung zur Ausbeutung von Mensch und Natur, sondern eine Sammlung von Geschichten über die Befreiung aus der Unterdrückung und ein Ende der Ausbeutung.

In der Osterliturgie folgt deshalb auf den Schöpfungsbericht die Geschichte vom Auszug aus der Sklaverei in Ägypten (Ex 14,15 – 15,1) und schließlich die prophetische Ankündigung eines neuen Exodus in Jes 55. In meiner Studienzeit habe ich dazu einen Predigttext verfasst, der gut zum Osterfest passt.

Der neue Exodus in Jes 55

¹ Auf, alle Durstigen, kommt zum Wasser!
Die ihr kein Geld habt, kommt,
kauft Getreide und esst, kommt und kauft ohne Geld
und ohne Bezahlung Wein und Milch!
² Warum bezahlt ihr mit Geld, was euch nicht nährt,
und mit dem Lohn eurer Mühen, was euch nicht satt macht?

Dass das, was wir gerade gehört haben, »Wort Gottes« war, ist vielen von Ihnen sicher so selbstverständlich, dass Sie gar nicht besonders darauf geachtet haben. Und was heißt das schon: »Wort Gottes«? Worte sind Schall und Rauch; die meisten gehen hier rein und da wieder raus.

In der Tat erwartet ja niemand von uns die Rettung von einem Wort. Denn selbst so große Worte wie »Demokratie«, »Frieden« oder »Gerechtigkeit« sind längst zu hohlen Phrasen geworden, die niemand mehr ernst nimmt. Sogar eine so intime Aussage wie »Ich liebe dich« ist inzwischen durch Schlager und Film so abgedroschen, dass sie niemanden mehr etwas sagt. Wir sind sprachlos geworden in unserer Welt, wo wir mit Kaskaden von Werbeslogans, Schlagerreimen und Politikerphrasen überschüttet werden. Aber wenn es uns mal wirklich auf den Nägeln brennt, wenn wir es schier nicht mehr aushalten vor Wut, Erregung, Liebe oder Zorn, dann fehlen uns die Worte … Dann stehen wir sprachlos da und wünschen uns nur noch, dass ein frischer Luftzug all die Sprachtrümmer von Werbung und Film aus unserm Kopf herauspustet.

Die Menschen, zu denen der Prophet der heutigen Lesung vor gut zweieinhalbtausend Jahren gesprochen hat, waren sicher genauso sprachlos wie wir. Das waren diejenigen aus dem Volk Gottes, die nach der Zerstörung Jerusalems in das große Babylon deportiert worden sind. Diese Menschen hatten fest darauf gehofft, dass sich ihr Gott in dem aussichtslosen Krieg gegen das übermächtige Babylon auf ihre Seite stellen würde. Sie gaben ihr Letztes und haben verloren. Da saßen sie nun ohnmächtig und resigniert in der fremden Stadt und fragten sich: Hat Gott uns im Stich gelassen? Oder ist er nur genauso ohnmächtig wie wir gegen die mächtigen Götter Babylons? Und weil sie keine Antwort fanden, ergaben sie sich stumm ihrem Schicksal und richteten sich in der neuen Welt ein. Sie bauten sich Häuser und machten Karriere in Banken und Staat.

Zu diesen Menschen spricht der Prophet und verkündet das rettende Wort Gottes:

² Hört doch, hört auf mich, dass ihr Gutes zu essen habt!
[…] ³ Hört zu, dass euer Herz auflebe.

Was hat der Prophet diesen resignierten Menschen zu sagen?

Das erste, was er sagen will, ist dies: Der Gott Israels ist ein Gott, der sprechen kann. Die Götter Babylons dagegen sind stumm. Ihre Propheten empfangen kein Wort Gottes, sondern leiten die Zukunft aus Zeichen ab. Das aber taten sie mit einer ungeheuren technischen Perfektion. Die babylonischen Astrologen zum Beispiel berechneten mit erstaunlicher Genauigkeit den Lauf der Gestirne und glaubten, mit der gleichen Präzision daraus Rückschlüsse auf das Schicksal der Menschen ableiten zu können. Die Propheten Israels verstanden sich nicht auf solche Finessen. Sie wurden gepackt von Gottes Wort und riefen es in die Welt.

Das zweite, was uns der Prophet sagen will, ist, dass das Wort Gottes nicht dieselbe alte Leier ist, die uns schon lange zum Hals heraushängt. Die Astrologen berechnen nur den ewigen Lauf der Gestirne. Unter ihrem Himmel geschieht nichts Unvorhersehbares. Das Wort Gottes dagegen bricht von außen in die Welt und verkündet etwas Neues, Unerhörtes, das unserm Denken und Sinnen zuwider läuft:

⁸ Denn meine Pläne sind nicht eure Pläne,
Und eure Wege sind nicht meine Wege,
spricht der Herr.

Das dritte, was der Prophet sagen will, ist, dass Gottes Wort kein leeres Gerede ist, sondern – unmerklich, doch unaufhaltsam – das bewirkt, wozu es gesandt ist.

So, wie der Regen zur Erde fällt und die Wüste in grünendes Ackerland verwandelt, so kommt Gottes Wort vom Himmel herab und verwandelt die sprachlose Welt in eine Welt der Sprache. So, wie der Regen in die trockene und rissige Erde sinkt, sie auflockert und durchsetzt, so wirkt Gottes Wort in unseren Köpfen und zersetzt nach und nach die Vorurteile und Klischees, die unser Denken versperren. Das einzige, was Gott bei uns voraussetzt, ist, dass wir auf sein Wort hören, dass wir aufmerken auf das Unerhörte, was Gott uns sagen will.

Dieses Unerhörte aber, das, was uns verheißen ist, wenn wir auf Gottes Wort hören, das beschreibt der Prophet in einem geradezu phantastischen Bild:

¹² Die Berge und Hügel brechen vor euch in Jubel aus,
und alle Bäume des Feldes klatschen in die Hände!

Wenn etwas sprachlos ist in unserer Welt, dann ist es die Natur, die uns umgibt. Berge, Flüsse und Wälder haben keine Sprache, in der wir uns mit ihnen verständigen könnten. Aber wenn Gottes Verheißung in Erfüllung geht und Gottes Volk, ohnmächtig und sprachlos, wie es ist, in einem neuen Exodus aus Babylon auszieht, dann entsteht eine stille Solidarität zwischen Mensch und Natur. Wenn Gottes Volk die unabänderliche Welt des Immer-gleichen verlässt, dann wird es sensibel für die namenlosen Leiden der Landschaften, Pflanzen und Tiere. Und in der gemeinsamen Freude wird – ganz ohne Worte – Verständigung möglich mit den Bergen und Hügeln und den Bäumen des Feldes. Die zerschlagene Menschheit und die entstellte Natur feiern gemeinsam das Fest ihrer Erlösung.

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Kategorien Theologie