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»Kramp-Karrenbauer sieht sich in Tradition mit Kohl« – so heißt es heute bei Zeit Online. Wirklich? Zu Kohls Regierungszeot wurden die Grundlagen für ein Soziales Europa gelegt: die Richtlinie 94/45/EG vom 22. September 1994 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats, das Sozialprotokoll und die Einführung des Europäischen Sozialdialogs im Vertrag von Maastricht vom 7. Februar 1992. Das alles wäre ohne die Unterstützung der damaligen Bundesregierung nicht zustandegekommen. Und was macht Kramp-Karrenbauer? Sie lehnt alle Vorschläge Macrons für ein sozialeres Europa ab, ohne einen einzigen Gegenvorschlag dazu zu machen.

Ich hätte ja nie gdacht, dass ich irgendwann einmal Kohl als Vorbild hinstellen würde. Aber der Vergleich zeigt sehr schön, wie weit die CDU/CSU inzwischen sozial- und wirtschaftspolitisch nach rechts gerückt ist. Ob die Medien das meinen, wenn sie von einer »Sozialdemokratisierung« der CDU sprechen?

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Kategorien Europa, Politik

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Die Auseinandersetzung um die geplante europäische Urheberrechtsreform nimmt kurz vor der finalen Abstimmung im Europäischen Parlament noch einmal an Fahrt auf. Aus meiner Sicht ist ein entscheidender Kritikpunkt, dass die Urheberrechtsreform die Macht der großen digitalen Plattformen stärken und die Abhängigkeit Europas von Google, Facebook und anderen amerikanischen und chinesischen Unternehmen weiter erhöhen wird.

Der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Ulrich Kelber hat in einer Pressemitteilung vom 26.02.2019 diese Gefahr sehr anschaiulich dargestellt. Kleinere Anbieter sind aufgrund der fehlenden Datenmengen und des immensen Programmieraufwands gar nicht in der Lage, eigene Uploadfilter zu entwickeln. Stattdessen werden sie auf Angebote großer IT-Unternehmen wie Google, Facebook und Amazon zurückgreifen.

„Letztendlich entstünde so ein Oligopol weniger Anbieter von Filtertechniken, über die dann mehr oder weniger der gesamte Internetverkehr relevanter Plattformen und Dienste läuft.“

Die in Artikel 13 Absatz 4aa geregelten Ausnahmeregelungen für Start-ups sind so restriktiv, dass sie gar nicht die kritische Größe erreichen können, die für eine eigenständige Entwicklung von Uploadfiltern und anderen Big-Data-Anwendungen nötig ist. Sie werden ausgebremst und in die Abhängigkeit der amerikanischen Plattformen getrieben. Wie sollen unter diesen Umständen europäische Alternativen zu den digitalen Plattformen aus den USA und China entstehen können?

Reto Hilty, Geschäftsführender Direktor des Münchner Max Planck Institut für Innovation und Wettbewerb fragt sich deshalb im Interview mit Heise Online zurecht, welche Auswirkungen die geplante Urheberrechtsreform auf „die Ambitionen der EU, im globalen Wettbewerb rund um die künstliche Intelligenz Schritt halten zu können oder gar eine Führungsrolle einzunehmen,“ haben wird.

Die Debatte um die Urhebrrechtsreform sollte deshalb auch in den Kontext von Timo Daums Artikel „KI – die Künstlichen Idioten des digitalen Kapitalismus“ gestellt werden.

Eine Debatte um Alternativen, jenseits der Verwertungslogik, jenseits verschiedenster Formen der fremdbestimmten Arbeit und jenseits von die persönliche Freiheit bedrohenden Entwicklungen steht auf der Tagesordnung.

Wie soll das in Europa gelingen, wenn hier schon die Entstehung alternativer Webplattformen ausgebremst wird?

Und was ist mit den Urheberrinnen und Urhebern?

Ich denke, dass diese Argumentaton diiejenigen, die für die geplante Urheberrechtsreform eintreten, kaum überzeugen wird Denn ihr Ziel ist es nicht, die Macht von Google, Facebook und anderen großen Internetplattformen einzuschränken, sondern diese dazu zu verpflichten, einen Teil ihrer Einnahmen an Medienindustrie und Verwertungsgesellschaften abzugeben. Aber umso größer die Marktmacht, desto höher die Gewinne und desto mehr Geld gibt es zu verteilen.

Ich befürchte jedoch, dass diese Rechnung nicht aufgehen wird. Sicher nicht beim Leistungsschutzrecht für Presseverlage; da wird es genaus enden wie beim deutschen Leistungsschutzrecht. Durch Artikel 13 werden sich zwar die EInnahmemöglichkeiten von Verwertungsgesellschaften und Medienindustrie verbessern. Gleichzeitig werden aber die Selbstvermarktungsmöglichkeiten junger Kreativer und das Experimentieren mit neuen Vertriebbsformen drastisch eingeschränkt. Alles in allem denke ich – ähnlich wie Leonhard Dobusch –, dass auch die Urheberinnen und Urheber am Ende mehr Nachteile als Vorteile haben werden.

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Kategorien Digitalisierung, Urheberrecht

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In einem Beitrag auf der US-Bloggingplattform Medium bezeichnet die Europäische Kommission die Kritikerinnen und Kritiker der nun zur Verabschiedung vorliegenden Urheberrechtsreform als „Mob“. Das zeugt schon von einem recht eigenartigen Verständnis von politischer Auseinandersetzung. Zum Mittel der Beleidigung und Herabwürdigung des politischen Gegeners greifen auch nur diejenigen, denen die sachlichen Argumente ausgehen. Angesichts der Reaktionen, die der Artikel hervorrief, war er der Kommission dann aber doch so peinlich, dass sie ihn zurückzog.

Er ist aber im Internet-Archiv noch verfügbar. Da stellt sich die Frage, ob so etwas wie die Wayback Machine in Europa überhaupt möglich wäre. Ich weiß nicht, auf welcher Grundlage das Internet-Archiv in den USA arbeitet, in Europa dürfte es aber sicher nicht zulässig sein, ganze Zeitungsartikel auf der eigenen Website neu zu veröffentlichen – insbesondere dann nicht, wenn das in der Urheberrechtsreform verankerte Leistungsschutzrecht für Presseverlage in Kraft tritt.

Ausführichere Informationen zur sich zuspitzenden Auseinandersetzung um die EU-Urheberrechtsreform gibt es in einem Artikel von Friedhelm Greis bei Golem.

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Kategorien Europa, Urheberrecht

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Eine verbreitete Verwirrung im Umgang mit Rechtsbegriffen fällt mir in letzter Zeit häufiger auf. Heute lese ich in der Online-Ausgabe der Tagesschau die folgende Überschrift:

US-Regierung verschärft Asylrecht

Eine „Verschärfung“ des Asylrechts stelle ich mir so vor: Die Durchsetzung des Asylrechts wird gestärkt; es lässt sich nicht mehr so leicht umgehen oder ignorieren. Wenn ich weiterlesen, stelle ich fest: Es ist genau das Gegenteil passiert. Das Asylrecht würde eingeschrânkt. Häusliche Gewalt und Bedrohung durch kriminelle Banden werden nicht mehr als Asylgrund anerkannt.

Hinter der falschen Überschrift steht ein seltsames Verständnis von Recht und Rechtsstaat: Alles, was die Macht des Staates gegenüber den Individuen stärkt, ist eine „Verschärfung“. Das Asylrecht ist aber ein individuelles Grundrecht, das die Individuen schützt und den Staat verpflichtet. Die Verschärfung eines solchen Grundrechts schränkt die Macht des Staates ein. Das scheint für manche aber schon undenkbar.

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Kategorien Politik

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Gelder, die dazu bestimmt sind, die soziale und wirtschaftliche Kohäsion zu fördern, lieber für Lohn-, Sozial- und Steuerdumping zu verwenden So stellt sich die Europäische Kommission ein »Nikolaus-Paket« vor.

Das Nachrichtenportal Euractiv hat ein ausführliches Interview mit Anne Karrass vom EU-Verbindungsbüro der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di geführt. Darin geht es um einen Reformvorschlag für die Eurozone, den die Europäische Kommission zum Nikolaustag 2017 veröffentlicht hat.

Das Interview ist wegen des vielen Neusprechs schwer zu verstehen. »Strukturreformen« meint im Jargon der europäischen Institutionen einen Mix aus Abbau von Arbeitnehmerrechten, Lohndumping, Sozialabbau und Steuergeschenken für große Kapitalgesellschaften. Kurz: Den Armen nehmen, um es den Reichen zu geben. Gemeinhin sollen diese »Reformen« der »Wettbewerbsfähigkeit« dienen. Weil es aber 2013 schon den Vorschlag für einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit gab, der kläglich gescheitert ist, will die Kommission das gleiche Paket nun unter dem gerade sehr beliebten Stichwort »Resilienz« verkaufen.

Ein besonderer Clou an der Sache: Es geht um Gelder aus dem Europäischen Sozialfonds und dem Fonds für regionale Entwicklung:

Dabei handelt es sich um 15 bis 18 Milliarden Euro, die eigentlich eingeplant waren, um Länder zu belohnen, wenn sie die in diesen Fonds gesetzten Ziele erreichen – das heißt, vor allem die soziale und wirtschaftliche Kohäsion fördern und neue Disparitäten vermeiden. Durch die Umwidmung der Mittel würde das Gegenteil erreicht.

Gelder, die dazu gedacht sind, soziale und wirtschaftliche Kohäsion zu fördern, sollen für eine Politik des Lohn-, Sozial- und Steuerdumpings verwendet werden, die – ob sie nun erfolgreich ist oder nicht – die sozialen und wirtschaftlichen Disparitäten weiter vergrößern wird.

Weil die Europäische Kommission diesen Vorschlag am Nikolaustag veröffentlicht hat, wird er nun auch noch als Nikolaus-Paket bezeichnet. Den Armen zu nehmen, um es den Reichen zu schenken. Ich wusste gar nicht, dass der Heilige Nikolaus dafür heilig gesprochen wurde.

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Kategorien Europa, Umverteilung