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Stefan Reinecke schreibt in der Gegenblende über die Zukunft der SPD: Die dritte Spaltung der SPD. Er schlägt vor:

Sie müssen sozialpolitisch weiter nach links, innenpolitisch nach rechts rücken.

Bei dieser These habe ich mich gefragt, wie das gehen soll. Kann die SPD innenpolitisch noch weiter nach rechts rücken?

Außerdem habe ich mich gefragt, wie sie damit neue Wählerstimmen gewinnen soll. Wählen die Menschen die SPD etwa deshalb, weil sie so eine strikte Law-and-Order-Politik vertritt? Ich fürchte allerdings, dass eine rechte Innenpolitik vielen in der SPD so sehr am Herzen liegt, dass sie sie aus Überzeugung vertreten und nicht nur, weil sie hoffen, dadurch Wählerstimmen zu gewinnen.

Denn in den letzten Wahlkämpfen hat die SPD sich genau so positioniert: sozialpolitisch links und innenpolitisch rechts. Da stellt sich schon die Frage, wie von einer noch klaren Positionierung in diesem Sinne die politische Erneuerung ausgehen soll, die die SPD braucht. Allerdings hat die SPD in ihrer Regierungsarbeit von einer linken Sozialpolitik eher geredet, anstatt sie tatsächlich umzusetzen. Eine rechte Innenpolitik aber hat sie konsequent umgesetzt – zumindest so weit, wie es das Bundesverfassungsgericht zugelassen hat. Denn herausgekommen sind eine Reihe von verfassungswidrigen Gesetzen.

Anders formuliert:

Sozialpolitisch links und innenpolitisch rechts – so hat sich die SPD im Grunde schon in den letzten Wahlperioden positioniert. Nur ist die linke Sozialpolitik an der CDU und den neoliberalen Kräften in der eigenen Partei gescheitert, die rechte Innenpolitik zum Teil am Widerspruch des Bundesverfassungsgerichts. Ich sehe keinen Grund, warum es in einer neuen großen Koalition anders sein sollte.

Abgesehen davon: Wie soll ausgerechnet von einer noch deutlicheren Positionierung in dieselbe Richtung – sozialpolitisch weiter links, innenpolitisch weiter rechts – die Erneuerung ausgehen, die die SPD nötig hat. Sozialpolitisch weiter links wäre ja immerhin noch denkbar – allerdings eher außerhalb einer großen Koalition. Innenpolitisch noch weiter rechts dürfte aber zu noch mehr Konflikten mit der Verfassung führen.

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Kategorien Politik

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Vor einigen Wochen bin ich auf der Suche nach Aufnahmen von Fairuz’ A’tini al-Nay wa-ghanni (»Gib mir die Flöte und singe«) auf die Version von Lhasa de Sela gestoßen.

Ich kannte Lhasa de Sela vorher noch nicht und habe mich gleich auf die Suche nach weiteren Stücken gemacht. Das Lied von Fairuz hat sie wahrscheinlich über ihren libanesischen Großvater kennen gelernt. Es bricht mir das Herz, dass sie am 1. Januar 2010 im Alter von gerade einmal 37 Jahren gestorben ist.

Vor Weihnachten habe ich in der Mediathek von Arte den Film 7 Giorni gesehen, in dem das Lied La marée haute eine wichtige Rolle spielt.


LHASA DE SELA – La marée haute from Isabelle Ducharme on Vimeo.

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Kategorien Musik

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Sandra Maischberger hält ein Wachstum von 1,5 % für ein „Wirtschaftswachstum, das sich gewaschen hat“. Das ist nicht der einzige Grund, warum ich den Eindruck habe, die Moderatorinnen und Moderatoren des TV-Duells leben in einer anderen Welt.

Inzwischen bereue ich schon fast, mir das TV-Duell zwischen Merkel und Schulz nicht gleich am Sonntagabend angesehen zu haben – nicht so sehr wegen der Antworten der beiden Duellanten, sondern wegen der Fragen der Moderatorinnen und Moderatoren. Inzwischen habe ich doch noch einmal hineingeschaut – immer schön Stück für Stück, damit ich nicht den Verstand verliere.

Verschiedene Berichte über das TV-Duell beklagen, dass die Moderatorinnen und Moderatoren eine rechtspopulistische Agenda in das Duell getragen haben, aus „Angst vor dem Mob“ stellten sie „Fragen von rechts“.

Georg Dietz weist bei Spiegel Online darauf hin, dass die vielen Menschen, die sich ehrenamtlich für Flüchtlinge einsetzen, in der Welt der Moderatorinnen und Moderatoren nicht vorkommen:

Diese Offenheit, diese Hoffnungsposition aber spielte in der Fernsehdiskussion, die fast alle anderen relevanten Zukunftsfragen ausblendete, von Bildung und Gerechtigkeit über Digitalisierung und Klimawandel bis zu einer Welt ohne Arbeit, keine Rolle. Es war eine Angstdiskussion, geführt mit einem Abschottungsvokabular.

Wolfgang Michal schreibt im Freitag:

Das Stichwort „soziale Gerechtigkeit“ fiel erst um 21:13 Uhr. Da waren zwei Drittel des Kanzlerduells schon vorbei. Sandra Maischberger wandte sich Martin Schulz zu: „Deutschland boomt“, sagte sie, „es gibt ein Wirtschaftswachstum, das sich gewaschen hat …, und doch sagen Sie, es geht ein tiefer Riss durch unsere Gesellschaft. Leben Sie vielleicht in einem anderen Land, mit anderen Nachbarn?“

Ich konnte erst gar nicht glauben, dass sie so gefragt hat. Aber sie hat es wirklich so gesagt. Dann habe ich mich vergewissert, wie hoch denn das Wirtschaftswachstum tatsächlich ist. Das Statistische Bundesamt prognostiziert für 2017 ein Wachstum von 1,5 % (die letzten drei Jahre war es kaum höher). Ein solch niedriges Wachstum hätte man vor gar nicht allzu langer Zeit als Zeichen einer Stagnation gesehen. Es liegt auch unter dem aktuell prognostizierten Wachstum der Eurozone. Wie dem auch sei: Eine Moderatorin, die ein Wachstum von 1,5 % als „Wirtschaftswachstum, das sich gewaschen hat“ bezeichnet, lebt für mich tatsächlich „in einem anderen Land“, wenn nicht sogar in einer anderen Welt.

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Kategorien Politik, Medien

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Ich habe mir gestern ein hoch interessantes Video zur Design-Geschichte der Firma Braun angesehen. Die Designer der Firma haben in einer wirklich kreativen (und humanistischen) Weise die Ideen des Bauhaus-Designs für Elektrogeräte umgesetzt.

Dem Film zufolge haben die beiden Firmeninhaber Artur und Erwin Braun darüber hinaus eine andere Unternehmenskultur versucht: mit guten Sozialleistungen, einer umfangreichen medizinischen Versorgung, Fitness-Kursen und gesunder Ernährung. Und die beiden Chefs aßen mit der Belegschaft gemeinsam in der Kantine. Zum Kapitalismus gehört aber auch, dass sie die Firma bereits 1967 an Gilette verkauften, weil sie für eine weltweite Expansion zu klein war und ein langfristiges Überleben auf dem europäischen Markt allein nicht möglich gewesen wäre.

Dieter Rams, der das Braun-Design in besonderer Weise prägte, hat später die Prinzipien, die ihn leiteten, in zehn Thesen für gutes Design zusammengefasst:

  1. Gutes Design ist innovativ.
  2. Gutes Design macht ein Produkt brauchbar.
  3. Gutes Design ist ästhetisch.
  4. Gutes Design mach ein Produkt verständlich.
  5. Gutes Design ist unaufdringlich.
  6. Gutes Design ist ehrlich.
  7. Gutes Design ist langlebig.
  8. Gutes Design ist konsequent bis ins letzte Detail
  9. Gutes Design ist umweltfreundlich.
  10. Gutes Design ist so wenig Design wie möglich.

Das Apple-Design ist sehr stark durch Braun beeinflusst. Die ersten vier bis fünf Thesen gelten sicher auch für Apple, aber je höher die Ordinalzahl der These, desto stärker entfernt sich das Apple-Design von diesen Thesen – von den sozialen Bedingungen im Unternehmen Apple ganz zu schweigen.

Literatur

de Jong, Cees (Hrsg.):
Dieter Rams: Zehn Thesen für gutes Design.
München ; London ; New York : Prestel, 2017.
ISBN 978-3-7913-8365-1

In den späten 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts machte sich Dieter Rams zunehmend Sorgen um den Zustand einer Welt, die er als „eine undurchschaubare Verwirrung von Formen, Farben und Geräuschen” empfand. Im Bewusstsein, dass auch er zu dieser Welt beitrug, stellte er sich eine wichtige Frage: Ist mein Design gutes Design? Er formulierte zehn Anforderungen, denen gutes Design seiner Meinung nach gerecht werden müsse.

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Kategorien Design

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Ein Bericht aus den heutigen Tagesthemen macht das ganze Ausmaß der Korruption in unserer Gesellschaft deutlich.

Ausgerechnet die Commerzbank, die noch vor wenigen Jahren mit Steuergeldern vor dem Bankrott gerettet und teilverstaatlicht wurde, nutzt die so genannte Divdenden-Arbitrage zur Steuervermeidung. Anscheinend ist unklar, ob dieser Trick, die Zahlung von Kapitalertragssteuer zu vermeiden, noch legal ist. Entscheidend ist aber, dass die Bundesregierung als Großaktionär der Commerzbank von diesen Geschäften gewusst haben müsste. Das Finanzministerium gibt dazu keinen Kommentar.

Offensichtlich ist die Steuervermeidung durch Banken und andere Großkonzerne aus Sicht der Regierung kein Versehen, nicht das Resultat bislang noch nicht erkannter Steuerlücken, sondern gewollt.

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Kategorien Steuerpolitik