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Dan Brown hat Christen in aller Welt mit der These provoziert, dass das Neue Testament erst unter Kaiser Konstantin, also Jahrhunderte nach dem Tode Jesu, entstanden ist. Aber jeder informierte Christ weiß, dass das nicht stimmt.

Tatsächlich kann das griechische Neue Testament keine hundert Jahre alt sein. Denn schließlich beansprucht die Deutsche Bibelgesellschaft ein Copyright auf diesen Text. Nun gehören aber alle Texte, die älter als 100 Jahre sind, längst der Public Domain an. Denn Copyright-Gesetze gibt es erst in der Neuzeit, und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war das Copyright auf wenige Jahrzehnte beschränkt. Ist das griechische Neue Testament also eine Fälschung aus dem 20. Jahrhundert?

Mehr dazu in meinem Artikel Die Bibel und das Copyright im Biblischen Forum.

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Der Begriff »geistiges Eigentum« ist ein Modebegriff, der den Zeitgeist widerspiegelt wie kaum ein anderer. Ursprünglich ein bloßer Notbehelf, um in internationalen Verträgen die unterschiedlichen Rechtstitel zusammenzufassen, die sich in verschiedenen juristischen Traditionen zum Schutz kreativer Leistungen entwickelt haben, dient er immer mehr dazu, die Unterschiede zwischen diesen Rechtstiteln zu verwischen und das Urheberrecht als das persönliche Recht der Autoren an den von ihnen geschaffenen Werken durch die Verwertungsrechte großer Konzerne zu ersetzen.

Hintergrund

»Wissen ist keine ordinäre Ware, sein Wert ist nicht bestimmbar, es lässt sich kostenlos vermehren. Seine Verbreitung steigert seine Fruchtbarkeit, seine Privatisierung reduziert sie und widerspricht seinem Wesen.« (André Gorz)

Die Bedeutung, die der Begriff des »geistigen Eigentums« in der aktuellen Rechtsentwicklung erhalten hat, scheint äußerlich durch die technische Innovation der Digitalisierung veranlasst – und zwar in zweierlei Hinsicht. Erstens ermöglicht die Digitaltechnik die verlustfreie Vervielfältigung. Was einmal digitalisiert ist, lässt sich verlustfrei kopieren, weil es – anders als bei der analogen Reproduktion – keine fließenden Übergänge mehr gibt, sondern nur noch eindeutige Unterschiede zwischen Wahr und Falsch, 0 und 1. Fehler sind eindeutig identifizierbar und eliminierbar. (Die Verluste, die bei der Digitalisierung und bei der Wiedergabe der digitalen Daten auf den Ausgabegeräten entstehen, bleiben davon unberührt.) Die Regelung der Verwertung kreativer Leistungen steht damit vor neuen Herausforderungen. Zweitens erhalten kulturelle Produkte verschiedenster Art erst durch die Digitalisierung eine homogene Form. Egal ob Literatur, Musik, bildende Kunst, technische Erfindungen – alles ist in Form von Bits and Bytes darstellbar und konservierbar. Es liegt also nahe, die verschiedenen Regelungen zum Schutz dieser kreativen Leistungen unter einem einzigen Begriff zusammenzufassen.

Die technische Entwicklung ist jedoch nur der äußere Anlass; viel entscheidender ist die zunehmende Bedeutung, die das, was unter dem Begriff »geistiges Eigentum« zusammengefasst wird, für die wirtschaftliche Expansion erhalten hat. Kulturelle Werke werden mehr denn je zu Waren – und zwar zu solchen Waren, die noch am ehesten Aussicht auf hohe Gewinne versprechen. Voraussetzung dafür ist, dass sie zu Gütern werden, die frei transferierbar und zugleich knapp sind. Die durch die Digitaltechnik bewirkte Homogenisierung kommt dem entgegen, weil sie die Austauschbarkeit kultureller Werke fördert. Die Möglichkeit der verlustfreien Kopie läuft jedoch der Notwendigkeit der Verknappung kultureller Güter zuwider. An sich müssten z. B. Tonträger deutlich billiger sein, weil die Kosten ihrer Vervielfältigung drastisch gesunken sind. Das Gegenteil ist der Fall. Um die Notwendigkeit der Knappheit zu erfüllen, verlagert sich das wirtschaftliche Interesse von den konkreten Artefakten auf die Rechtstitel an kreativen Leistungen. Nur mit ihnen lässt sich wirklich Geld machen, vorausgesetzt auch diese Rechtstitel sind frei transferierbar und knapp.

Der Begriff des »geistigen Eigentums« zielt genau darauf, Rechte auf kreative Leistungen als knappe Güter zu betrachten, die auf dem Markt frei verkauft und gekauft werden können. Diese Konzeption widerspricht jedoch dem common sense, dem in der Alltagswelt verankerten Umgang mit kulturellen Werken und Leistungen. Das Urheberrecht ist in der kontinentaleuropäischen Tradition ein nicht transferierbares Persönlichkeitsrecht. Darüber hinaus gilt Kultur als ein allgemeines Gut, zu dem jeder einen Zugang haben soll. Wenn der Zugang eingeschränkt und kostenpflichtig gemacht werden soll, dann allein in Berufung auf das legitime Recht der Autorin oder des Autors und nicht aufgrund irgendwelcher frei handelbarer Rechtstitel arbiträrer »Eigentümer«. Das Original der Mona Lisa ist zwar Eigentum des Louvres, aber die Mona Lisa als Kunstwerk ist längst Allgemeingut geworden. Daran, dass das Recht auf digitale Reproduktion der Mona Lisa irgendjemandes »Eigentum« sein soll, müssen sich viele von uns erst gewöhnen.

Sprachverwirrung

Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, die aktuell um die Nutzung digitaler Kopien ausgetragen werden, sind darin begründet, dass zwischen dem alltäglichen Rechtsbewusstsein und der Rechtsauffassung, die hinter dem Begriff des »geistigen Eigentums« steht, eine deutliche Diskrepanz besteht. Noch ist es ein weiter Weg, bis die Vorstellung von Kultur als »geistigem Eigentum« selbstverständlich geworden ist. Ein wichtiges Vehikel auf dem Weg dorthin ist die Prägung neuer Begriffe, die eine Verdrehung der Sprache bewirken, die auch unser Denken, unsere Vorstellungswelt und unser Rechtsbewusstsein verändern soll.

Ein besonders eklatantes Beispiel dafür ist der Begriff der »Raubkopie«. Im allgemeinen (und im juristischen) Sprachgebrauch bezeichnet »Raub« – im Unterschied zum bloßen Diebstahl – die gewaltsame Aneignung eines fremden Gutes. Wer das illegale Kopieren rechtlich geschützter Werke als »Raubkopie« bezeichnet, stellt es auf eine Stufe mit Gewaltverbrechen. Die Werbekampagne »Hart-aber-gerecht« der deutschen Film- und Phonoindustrie macht diese Gleichsetzung explizit, indem sie Tauschbörsennutzer mit Gewaltverbrechern gleichstellt. In der aktuellen rechtlichen Entwicklung wird dieser Sprachgebrauch dadurch nachvollzogen, dass das illegale Kopieren auch vom Strafmaß her den Gewaltverbrechen angeglichen wird. Die Werbekampagne setzt zudem voraus, dass nicht mehr zwischen der Anfertigung von Kopien zu kommerziellen Zwecken im großen Stil und der zum privaten Gebrauch unterschieden wird. Es soll der Eindruck entstehen, als sei die Nutzung einer Tauschbörse ein ebenso schwerwiegendes Verbrechen wie eine Vergewaltigung. Das aktuelle Urheberrecht macht zwar noch einen Unterschied zwischen der kommerziellen Verwertung illegaler Kopien und der privaten Nutzung, aber das erklärte Ziel der Verwertungsindustrie ist es, auch diesen Unterschied zu beseitigen, wie die aktuelle Diskussion um den zweiten Korb der Reform des Urheberrechts in Deutschland zeigt.

Der Begriff der »Piraterie« zielt in die gleiche Richtung und ist deshalb ebenso unangemessen. Auch Piraterie kann man sich nur als ein gewalttätiges Unternehmen vorstellen. Und obwohl sie an sich ein gewisses Maß an kollektiver Organisation voraussetzt, wird der Begriff unterschiedslos auch für das private Kopieren verwendet. So versteht die Business Software Alliance, ein Verband von vorwiegend us-amerikanischen Softwareunternehmen, unter »Piracy« jede unlinzensierte Ver­wendung von Software. Nach diesem Verständnis ist schon derjenige ein »Software-Pirat«, der sein »Word«, das er für mehrere hundert Euro gekauft hat, nicht nur auf seinen Heimcomputer installiert, sondern auch noch auf sein Laptop, obwohl die Lizenz ausdrücklich nur die Nutzung auf einem Computer erlaubt.

Die Praktiken, mit denen die Content-Industrie gegen solche »Piraten« vorgeht, lassen die Frage aufkommen, wer die wahren Piraten sind. So lässt die Musikindustrie seit Inkrafttreten des neuen Urheberrechtgesetzes private Homepage-Betreiber und E-Bay-Anbieter abmahnen, die die neue Rechtslage noch nicht kennen oder schlicht vergessen haben, Verknüpfungen auf inzwischen rechtlich bedenkliche Kopiersoftware von ihrer Homepage zu nehmen. Dabei wird der Streitwert so hoch angesetzt, dass den Beschuldigten nur die Wahl bleibt, entweder eine Unterlassungserklärung abzugeben und die Abmahngebühren von mehreren tausend Euro zu zahlen oder sich auf einen langwierigen Rechtsstreit einzulassen. So wurde etwa der Betreiber des Internetportals www.kefk.net abgemahnt, weil auf seiner Internetseite in einigen Forenbeiträgen aus der Zeit vor der Urheberrechtsnovelle auf Internetseiten verwiesen wurde, die wiederum auf Download-Möglichkeiten für Programme hinwiesen, die dazu geeignet sind, Kopierschutzmechanismen zu umgehen. Obwohl rechtlich nicht eindeutig geklärt ist, wie weit ein Homepage-Betreiber für solche indirekten Links überhaupt haftbar ist und ob die inkriminierte Software tatsächlich nach dem neuen Urheberrecht illegal ist, hat der Beschuldigte darauf verzichtet, sich auf einen Rechtsstreit einzulassen, dessen Streitwert so hoch ist, dass dafür keine private Rechtsschutzversicherung aufkäme. Im Fall eines siebzehnjährigen Schülers, der bei E-Bay alte Computer-Bild-CDs angeboten hat, die u. a. Kopiersoftware enthielten, war die Kanzlei wenigstens so gnädig, die Abmahngebühren von 2.337,50 € auf 700 € zu senken. In früheren Zeiten hätte man derartige Praktiken, mit unsicheren Rechtsansprüchen bei unbedarften Privatpersonen Kasse zu machen, wahrscheinlich als Piraterie bezeichnet. Heute sind die Opfer die »Piraten«.

Schließlich gehört auch der Begriff des »geistigen Eigentums« zu dieser Art der Sprachverwirrung, impliziert er doch die Vorstellung, der Geist sei ein Eigentum wie andere auch – ganz so, als ob der Bereich des Geistes sich ebenso in kleine Parzellen aufteilen ließe, auf die frei handelbare Eigentumstitel erworben werden können, wie der Grundbesitz. Ist dies beim Grundeigentum und beim Eigentum an Sachen schon nur eingeschränkt gültig (worauf die Sozialverpflichtung des Eigentums im Grundgesetz hinweist), so erscheint diese Verstellung doch im Hinblick auf den geistige Schöpfungen geradezu absurd.

Ein entscheidender Teil der Sprachverwirrung besteht darin, dass der Begriff des »geistigen Eigentums« die unterschiedlichsten Rechtstitel zusammenfasst, die in verschiedenen Rechtstraditionen und für verschiedene Formen kultureller Produktion entstanden sind, und die Unterschiede zwischen ihnen verwischt. Diese Verwischung tatsächlicher Unterschiede verfolgt zwei Ziele. Einerseits werden die frei handelbaren Verwertungsrechte mit der Aura des Urheberrechts versehen. Diesen Effekt nutzen die Kampagnen gegen »Raubkopie« und »Piraterie«. Denn das illegale Kopieren von CDs und DVDs schadet direkt nur den großen Musik- und Filmverlagen. Inwieweit die Autoren an deren Gewinnen partizipieren, hängt von ihren individuellen Verträgen ab. Kollektive Verwertungsgesellschaften wie GEMA oder VG Wort sind schon allein deshalb nicht mehr zeitgemäß, weil sie die Verlage umgehen und ihre Einnahmen direkt an die Autoren ausschütten. Andererseits wird die Bedeutung des Urheberrechts als ein persönlich an den oder die Autorin gebundenes und deshalb nicht veräußerbares Recht ausgehöhlt. Die neuen Systeme des Digital Rights Management erfordern eine industrielle Infrastruktur und nutzen am ehesten multinationalen Unternehmen, die sich diese Infrastruktur leisten können.

Die Bezeichnung »geistiges Eigentum« hat einen weiteren Vorteil: Die meisten Rechtstitel, die unter dieser Bezeichnung zusammengeafasst werden, sind in ihrem Ursprung zeitlich befristete, vom Staat verliehene Monopolrechte. Nun verträgt sich die Forderung nach Ausdehnung von Monopolrechten aber schwer mit der neoliberalen Ideologie. Da klingt es besser, wenn man diese Förderung von Monopolen als Schutz von »geistigen Eigentum« verkauft.

Ursprüngliche Akkumulation

Im Grunde wiederholt sich im Bereich der »Kopfarbeit« das, was Marx für den Bereich der »Handarbeit« als »ursprüngliche Akkumulation« bezeichnet hat: die Überführung von Gemeingütern (der sog. »Allmende«) in Privatbesitz und die Enteignung der unmittelbaren Produzenten von ihren Produktionsmitteln.

Der erste Aspekt wird inzwischen von sehr vielen Personen und Organisationen kritisiert. Sehr anschaulich beschreibt zum Beispiel Lawrence Lessig anhand der Entwicklung des us-amerikanischen Copyrights, wie Dinge, die bisher Allgemeingut waren, d. h. der public domain angehörten, der allgemeinen Nutzung entzogen und in Privatbesitz überführt werden. Nicht nur die Geltungsdauer von Copyrights, Patenten und anderen Immaterialgüterrechten wird kontinuierlich ausgedehnt, sondern auch der sachliche Geltungsbereich, insofern Nutzungsformen, die früher einfach nicht geregelt waren, inzwischen durch das Copyright reglementiert sind. Zum Teil ergibt sich das schon allein daraus, dass bei digitalen Werken jede Nutzung zugleich auch eine Kopie erzeugt. Auch der Bereich dessen, wofür Patente und Markenrechte erworben werden können, dehnt sich immer weiter aus.

Das Bedrohungsszenario, das die Verfechter des »geistigen Eigentums« so gerne an die Wand malen, hat also eine Kehrseite: Es wird – dank der digitalen Technik – nicht nur einfacher, Bücher, Filme und Musik zu kopieren, sondern es wird – dank neuer Gesetze – auch immer einfacher mit dem Copyright in Konflikt zu geraten, weil es für einen immer längeren Zeitraum und für immer mehr Nutzungsformen gültig ist. Lawrence Lessig fasst die Entwicklung des us-amerikanischen Copyrights in den letzten fünfzig Jahren mit dem Satz zusammen: »Niemand soll mit Disney Inc. das machen können, was Walt Disney mit den Gebrüdern Grimm gemacht hat.«

Der zweite Aspekt der ursprünglichen Akkumulation – die Trennung der Produzenten von ihren Produktionsmitteln – kommt in der Diskussion leider etwas zu kurz. Dabei ist auch dieser Aspekt offensichtlich. Am weitesten fortgeschritten dürfe die Landwirtschaft sein, wo die Landwirte häufig kein eigenes Saatgut mehr verwenden dürfen, sondern auf die Hersteller von lizenziertem Saatgut angewiesen sind. Das dies nicht nur in den Entwicklungsländern und nicht erst für gen-manipuliertes Saatgut gilt, hat in Deutschland vor kurzem das Beispiel der Kartoffelsorte Linda gezeigt. Der Hersteller Europlant wollte die Landwirte dazu zwingen, auf neu entwickeltes Saatgut umzusteigen, indem er die Eintragung der Linda im Sortenregister zurückzog, weil die Sorte ab 2005 gemeinfrei geworden wäre.

Ein anderes Beispiel ist die Software-Produktion. Denn das wichtigste Produktionsmittel eines Software-Entwicklers ist Software. Er benötigt Programme, um die Quelltexte zu schreiben und sie in Maschinencode zu übersetzen, und er entwickelt seine Programme nicht aus dem nichts, sondern indem er bewährte Routinen und Verfahren einsetzt, bestehende Bibliotheken verwendet und bestehende Programme weiterentwickelt. Im Falle von proprietärer Software (“closed source”) ist die Software, die ein Entwickler schreibt, genauso wie die, die er zum Schreiben braucht, nicht das »geistige Eigentum« des Entwicklers, sondern des Unternehmens, das ihn beschäftigt. Deshalb kann er im Sinne dieser Vorstellung von »geistigen Eigentum« auch Routinen, die er selber für seinen Arbeitgeber geschrieben hat, nicht bei einem anderen Arbeitgeber einfach weiterverwenden.

Die Entstehung der “Free Software”-Bewegung und der GPL ist deshalb zuallererst ein Versuch von Software-Entwicklern, die Kontrolle über ihre Produktionsmittel zu behalten. Weil Software-Entwicklung ein kumulativer Prozess ist, reicht es nicht, sich auf das Urheberrecht zu berufen und das Produkt der eigenen Entwicklertätigkeit als »geistiges Eigentum« zu reklamieren (also z. B. ein Arbeitnehmerpatent zu beantragen). Die GPL nutzt das Urheberrecht vielmehr dazu, die Kopierbarkeit und Wiederverwendbarkeit von Software zu gewährleisten und sie vor privater Aneignung zu schützen. Der Entwickler »verschenkt« seine Software zwar, aber nur, um sie selber weiter nutzen zu können. Deshalb ist dieses Verschenken für den Entwickler immer noch besser, als die Rechte an seiner Software einfach dem Unternehmen zu überlassen, bei dem er arbeitet. Nur dieses »Verschenken« ermöglicht es ihm, die Kontrolle über die eigenen Produktionsmittel zu behalten. Deshalb waren die ersten Programme, die im Rahmen des GNU-Projektes entwickelt wurden, auch Werkzeuge für die Software-Entwicklung: der EMACS als universaler Quelltext-Editor und der GCC als Compiler.

Nachtrag

Dieser Text schlummert schon seit einiger Zeit auf meiner Festplatte. Ich hatte ihn als Einleitung zu einem längeren Text zur Auseinandersetzung um das sog. »geistige Eigentum« gedacht. Aber wer weiß, wann ich dazu komme …

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[Zuletzt bearbeitet am 9. April 2007]

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Kategorien Urheberrecht

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Euphorie gibt es nicht nur um die deutsche Fußballnationalmannschaft (oder heißt es jetzt: Fussball™-Nationalmannschaft?). Die aktuelle Ausgabe der c’t enthält eine CD mit der zweiten Beta zu Microsoft Office 2007 und dazu einen Artikel, der in seinem Grundtenor geradezu euphorisch ist. Am köstlichsten sind die in den Artikel eingestreuten fiktiven Anwender-Feedbacks, die bis auf den ersten (der „Selten-Nutzer“) nach dem Muster aufgebaut sind: auf den ersten Blick ungewohnt, aber bei genauerem Hinsehen viel besser als früher.

Ein Office-Power-User:
„Das ist das erste MS-Office seit 97, das ich mir auch privat zulegen werde.“

Ein Streiflicht:
„Als Fan der Sehbehinderten-Auflösung 800 × 600 bin ich überrascht, wie sinnvoll sich die Software auch darunter benutzen lässt – besser als der Vorgänger.“

Der eigentliche Artikel hält sich da kaum zurück. Sein Fazit lautet:

Version 2007 ist unserer Meinung nach die insgesamt größte und gelungenste Innovation in der Geschichte von Microsoft Office. Sie setzt in Sachen Optik, Bedienbarkeit und Funktionalität neue Maßstäbe und lässt andere Office-Pakete – das muss man leider so sagen – mit einem Schlag ziemlich alt aussehen.

Jetzt lese ich bei Golem, dass Computer-Bild sich geweigert hat, die Office-Beta seinem aktuellen Heft beizulegen, weil Microsoft dieses Privileg von einem Vertrag abhängig gemacht hat, der die journalistische Freiheit weitgehend eingeschränkt hätte. Das gibt der Euphorie des c’t-Berichts einen schalen Beigeschmack.

Wenn die c’t-Redaktion nun beteuert, Microsoft habe „keinerlei Versuch unternommen, auf die Berichterstattung Einfluss zu nehmen“, wundert mich das bei einem derart positiven Artikel wirklich nicht.

In einem muss man dem c’t-Artikel jedoch recht geben: Gerade die Office-Pakete, die sich in den letzten Jahren darum bemüht haben, MS Office möglichst ähnlich zu werden, sehen „mit einem Schlag ziemlich alt“ aus. Dabei muss man allerdings bedenken, dass das, was bei Microsoft Office jetzt als Innovation gefeiert wird, bei den Konkurrenten unter der Rubrik „gewöhnungsbedürftig“ abgehakt worden wäre. Außerdem zählen zu den Funktionen, die der c’t-Artikel als bahnbrechend neu beschreibt, auch Dinge, die es bei anderen schon seit Jahren gibt. Die Echtzeit-Vorschau z. B. gibt es bei WordPerfect schon seit Version 9. Aber da kaum noch jemand diese anderen Programme kennt, dürfte das nur wenigen auffallen.

Auf jeden Fall stellt sich das zwanghafte Bemühen der OpenOffice.org-Entwickler, Microsoft Office möglichst ähnlich zu werden, nun als absurdes Unterfangen dar. Statt dessen wäre es besser gewesen, die eigenen Stärken auszubauen (die StarOffice immer schon hatte) und mit innovativen Konzepten weiterzuentwickeln. Die Vorstellung, „usability“ sei, was so funktioniert wie in MS Office, ist ein Missverständnis, auch wenn die meisten usability-issues im OpenOffice.org-Bugtracking-System diesem Schema folgen.

Da lobe ich mir doch die Entwickler von KOffice, die für die Entwicklung der nächsten Version extra einen Designwettbewerb ausgerufen haben. Schon die aktuelle Version zeigt, dass man mit einfachem Nachdenken darüber, wo etwas hingehört, weiter kommt, als mit bloßer Imitation. Die Dialoge sind zwar anders aufgebaut als bei der Konkurrenz, aber man findet sich sofort zurecht. Wenn die Entwickler endlich auch grundlegende Funktionen wie Schrift-Kerning, Fußnoten und Tabellensatz in den Griff bekommen, werde ich wohl auf KOffice umsteigen.

Nachtrag

Inzwischen weist Corel selber darauf hin, dass manche der neuen Funktionen von Microsoft Office 2007, die von der „Fachpresse“ als bahnbrechende Neuerungen bejubelt werden, die die Konkurrenz alt aussehen lassen, in WordPerfect Office zum Teil schon seit fast einem Jahrzehnt existieren.

As many as 8 of the top 10 benefits of Microsoft Office 2007 provide capabilities that have already been addressed by Corel WordPerfect Office X3. Some “new” features of Microsoft Office 2007 have even been part of Corel WordPerfect Office for close to a decade!

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Kategorien Unternehmen

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In einem Interview mit dem Deutschlandfunk hat der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker zur Krise um die Europäische Verfassung Stellung genommen. Es sei ein Fehler gewesen, von einer „Verfassung“ zu sprechen. Da hat er Recht: Das Problem mit dem Verfassungsvertrag besteht darin, dass er etwas als „Verfassung“ deklariert, was keine Verfassung ist. Allerdings ist die Konsequenz, die Juncker daraus zieht, falsch. Es ist keine Lösung, den Verfassungsvertrag einfach mit einem anderen Etikett zu versehen. Vielmehr braucht Europa eine Verfassung, die diesen Namen verdient.

Europa braucht eine Verfassung, die grundlegende Rechte garantiert und demokratische Verfahrensweisen regelt. Denn was die Menschen an der Europäischen Union stört, ist, dass sie weniger als Demokratie, denn als Herrschaft von Bürokraten erscheint. Viel zu oft wird das Gewirr der europäischen Institutionen dazu missbraucht, an der parlamentarischen Kontrolle vorbei politische Projekte durchzusetzen, für die es keine demokratische Mehrheit gäbe. Jean-Claude Juncker selbst spielt dieses Spiel eifrig mit. Noch vor gut einem Jahr hat er die erneute Diskussion einer Richtlinie, die aufgrund des Einspruchs mehrerer nationaler Parlamente notwendig geworden war, mit der Begründung abgelehnt, dass dadurch eine „Präzedenzfall“ geschaffen würde, der unbedingt vermieden werden müsse.

Auch der Verfassungsvertrag bestätigt diesen Eindruck. Denn er enthält zwar eine Grundrechte-Charta und Regelungen zur Demokratisierung der Europäischen Union, aber er verbindet sie – nach dem Motto „Friss oder stirb!“ – mit politischen Festlegungen, die schon von ihrer Form her in einer „Verfassung“ nichts verloren haben und noch dazu inhaltlich höchst umstritten sind.

Ein Beispiel: Der Abschnitt über die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik enthält die Klausel:

Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. (Artikel I-41 Absatz 3)

Im Rahmen einer Verfassung wirkt das wie eine Verpflichtung zur kontinuierlichen Erhöhung der Militärausgaben, wie eine Aufrüstungsklausel. So aber haben es wahrscheinlich (oder: hoffentlich) noch nicht einmal die Verfasser dieses Textes verstanden. Tatsächlich klingt der ganze Abschnitt nicht wie eine Verfassung, die grundlegende Regeln für eine gemeinsame europäische Politik festlegt, sondern wie ein Vertrag, der die Schritte hin zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik regelt. Wie immer man zu der Verpflichtung, die „militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“, stehen mag: In einer Verfassung hat sie nichts zu suchen.

Jetzt, wo das Kind in den Brunnen gefallen ist, reicht es nicht mehr, den Vertrag einfach umzuetikettieren. Das würde den Gegnern des Vertrags in Frankreich und den Niederlanden zurecht als Affront vorkommen. Die einfachste Lösung bestünde darin, den Verfassungsvertrag auf das zu beschränken, was eine Verfassung regeln sollte: die Grundrechte und die demokratische Regelung der Entscheidungsprozesse der Union. Das ist keine utopische Forderung. Es würde reichen, die Grundrechte-Charta und die Abschnitte über die Entscheidungsverfahren aus dem Verfassungsvertrag zu einer neuen kompakten Verfassung zusammenzufassen, die überschaubar genug wäre, dass jede Bürgerin sie lesen kann – und vielleicht sogar jeder Journalist und der ein oder andere Politiker, der darüber abstimmen darf. Den ganzen Rest mögen die Regierungschefs ruhig in multilateralen Abkommen beschließen, aber bitte nicht als „Verfassung“ deklarieren.

Wahrscheinlich ist aber auch diese einfache Lösung wenig realistisch, weil sie die ganzen Hintergrund-Deals (à la ein bisschen Demokratie für noch mehr Neoliberalismus) außer Kraft setzen würde, die mit dem Verfassungsvertrag verbunden sind.

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Kategorien Europa, Demokratie

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Als ob es Romano Prodi nicht schon schwer genug hätte – mit seinem knappen Wahlsieg und einem Parteienbündnis, das das gesamte Spektrum aller im deutschen Bundestag vertretenen Parteien repräsentiert –, erwecken die deutschen Nachrichten zum Machtkampf in Italien auch noch zusätzlich den Eindruck, als wollten sie das Scheitern des italienischen „Mitte-Links-Bündnisses“ geradezu herbeischwören.

Zumindest überzeichnen sie die Schwierigkeiten, spielen die Erfolge herunter und übernehmen die Interpretation der Situation durch Silvio Berlusconi und seine Gefolgsleute.

Einfache, absolute und Zweit-Drittel-Mehrheit

Die Wahlen zu den Präsidenten der beiden Parlamentskammern wurden von der deutschen Presse, noch bevor sie abgeschlossen waren, unisono als „Schlappe“ bzw. „Fehlstart“ für Prodi gewertet. Und dieses Etikett blieb an ihnen auch hängen, nachdem sich die beiden Kandidaten des Mitte-Links-Bündnisses durchgesetzt hatten.

Aufschlussreich war dabei der Umgang mit dem Begriff „Mehrheit“. So titelte z. B. die Tagesschau am Freitag „Keine Mehrheit für Prodis Kandidaten“, obwohl beide Kandidaten schon zu diesem Zeitpunkt durchaus die Mehrheit hatten – eben nur nicht die erforderliche ⅔ bzw. absolute Mehrheit. Aber „Keine Zwei-Drittel-Mehrheit für Prodis Kandidaten“ hätte sicher nicht so dramatisch geklungen. Nur ist die Behauptung, es habe keine Mehrheit für Prodis Kandidaten gegeben, schlicht falsch.

Außerdem war schon von vornherein abzusehen, dass bei den vergifteten Verhältnissen in Italien Fausto Bertinotti als Kandidat für das Amt des Präsidenten der Abgeordnetenkammer keine ⅔-Mehrheit erreichen kann und deshalb frühestens im dritten Wahlgang gewählt wird, wenn die absolute Mehrheit reicht (und nicht die einfache Mehrheit, wie z. B. Spiegel Online behauptet). Zwar wurde Bertinotti schließlich erst im vierten Wahlgang gewählt, aber er erhielt in allen Wahlgängen die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen (allerdings nicht der Abgeordneten).

Auch Franco Marini, der Kandidat des Mitte-Links-Bündnisses für das Amt des Senatspräsidenten, hatte in allen Wahlgängen eine deutliche Mehrheit (auch ohne die Stimmzettel, auf denen der Vorname falsch geschrieben war) – eben nur nicht die absolute Mehrheit der Senatoren, die für die Wahl des Senatspräsidenten nötig ist. Über das Chaos, dass dazu geführt hat, dass der zweite Wahlgang annuliert wurde und deshalb wiederholt werden musste, konnte man sich aus den wenigen Informationen in den deutschen Medien ohnehin kein Bild machen. Trotzdem übernahmen alle die Interpretation von Silvio Berlusconi, dass damit die Regierungsunfähigkeit einer Mitte-Links-Koalition erwiesen sei.

Im dritten Wahlgang wurde Marini mit 165 Stimmen gewählt und erreichte damit zwei Stimmen mehr, als von den politischen Mehrheitsverhältnissen eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Giulio Andreotti erhielt dagegen nur 158 Stimmen und damit – vorausgesetzt er hat sich selbst gewählt – nicht einmal alle Stimmen des Rechts-Bündnisses. Darüber aber verlieren die deutschen Presseberichte kein Wort (im Unterschied z. B. zu der Presse aus Österreich).

Mindestens genauso gut, wie man die ungültigen Stimmen mit dem falschen Vornamen als Zeichen für die fehlende Regierungsfähigkeit des Mitte-Links-Bündnisses deuten kann, könnte man den dritten Wahlgang als Zeichen dafür sehen, dass das Mitte-Links-Bündnis, wenn es darauf ankommt, eben doch die erforderliche Mehrheit erhält und dass das Rechtsbündnis alles andere als geschlossen ist.

Fear, Uncertainty and Doubt

Die Schwierigkeiten, vor denen Prodi steht, sind nicht von der Hand zu weisen. Aber wer die Wahl der Präsidenten der beiden Parlamentskammern gleich als „Fehlstart für Prodi“ interpretiert, spielt Berlusconi in die Hände. Denn der verfolgt eine klassische FUD-Strategie. Spätestens seit den verloren Wahlen streut er Furcht, Unsicherheit und Zweifel (“Fear, Uncertainty and Doubt”) über die Regierungsfähigkeit Prodis, um ihn so tatsächlich zu schwächen. Und die deutschen Medien machen fröhlich mit. Wenn aber schon professionelle Journalisten Berlusconi auf dem Leim gehen, wen wundert es da noch, dass fast die Hälfte der Italiener ihn wiederwählen wollten?

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Kategorien Italien, Politik