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Seit dem 13. Juni 2012 liegt ein Referentenentwurf für das geplante Leistungsschutzrecht für Presseverlage vor.

Irgendwie hatte ich schon darauf gehofft, dass aus diesem Projekt – trotz aller Beteuerungen – in dieser Legislaturperiode nichts mehr wird (schon allein deshalb, weil es kaum möglich sein dürfte, ein solches Leistungsschutzrecht juristisch »sauber« zu formulieren). Die letzten Aussagen von Koalitionspolitikern klangen zudem so, als sei die ursprüngliche Idee in dem geplanten Gesetzentwurf so weit zusammengestutzt worden, dass das geplante Gesetz niemanden mehr etwas nützt, aber möglicherweise niemandem mehr schadet. Als ginge es nur noch um einen eindeutigen Rechtsanspruch, dass Google und andere Suchmaschinen sich an die disallow-Anweisungen in robots.txt halten müssen.

Der nun vorliegende Entwurf geht aber weit darüber hinaus. Und er trifft weniger Google als private Blogger. Freundliche Hinweise auf informative Zeitungsartikel, die man auf seinem Blog weiterempfielt, wohlmöglich noch mit einem längeren Zitat, werden demnächst der Vergangenheit angehören. Das wäre wahrscheinlich gar nicht mal so schlimm, schließlich schadet es ja nur den Verlagen, wenn sie auf kostenlose Werbung durch private Blogger verzichten wollen, aber der Gesetzentwurf lässt befürchten, dass Abmahnanwälte ein viel weiteres Betätigungsfeld darin finden werden.

Vor kaum zwei Wochen hat die Bundesjustizministrin Leutheuser-Schnarrenberger beklagt, dass »die letzten gesetzlichen Änderungen zwischen 1998 und 2009 zu erheblichen Verkomplizierungen am Text des Urheberrechtsgesetzes und deutlichen Akzeptanzproblemen geführt« hätten. Für die anstehende Reform des Urheberrechts wolle sie sich dafür einsetzen, dass »die bestehenden Regeln verständlicher gemacht werden«.

Mit dem seit dem 14. Juni 2012 vorliegenden Entwurf zum Leistungsschutzrecht wissen wir nun, wie sich Frau Leutheuser-Schnarrenberger ein weniger kompliziertes und leichter verständliches Urheberrecht vorstellt: Mehrere neue Paragraphen sollen in das Urheberrechtsgesetz eingefügt werden. Das Gesetz wird damit nicht nur umfangreicher, sondern auch sicher nicht verständlicher. Nicht einmal die Experten sind sich einig darüber, wie der Text zu verstehen ist und welche Auswirkungen er hätte. Das liegt einerseits an der Unklarheit des Textes, andererseits an den Widersprüchen zum bestehenden Gesetz. Einerseits sollen bestehende Schrankenregelung wie das Zitatrecht nach § 51 UrhG oder die Pressepsiegel-Regelung in § 49 UrhG, andererseits steht der Schutzzweck des geplanten Leistungsschutzrechts für Presseverlage dem diametral entgegen.

So sieht also nach Auffassung des Justizministeriums eine Vereinfachung des Urheberrechts aus.

Problematisch erscheint mir auch, dass der Schutz sich auf kleinste Teile des Presseerzeugnisses erstrecken soll. Das im Referentenentwurf zitierte BGH-Urteil aus dem Jahr 2008 lässt sich kaum auf Presseartikel übertragen. Wie immer man zu diesem Urteil stehen mag, es setzt voraus, dass bei Musikaufnahmen auch kleinste Teile sich eindeutig als Teile einer bestimmten Aufnahme identifizieren lassen. Bei Texten ist dies aber kaum möglich. Ab wann ist eine Textpassage eindeutig als Zitat aus einem bestimmten Presseartikel identifizierbar? Eine Antwort auf diese Frage bleibt der Text des Referentenentwurfs schuldig.

Nico Lumma bemerkt zu recht, dass das geplante Leistungsschutzrecht nur eine Frage beantwortet: die von Bundeskanzlerin Merkel auf dem Internetgipfel im Mai 2012 gestellte Frage, »warum es in Deutschland keine Schwergewichte in der digitalen Ökonomie gibt«.

Wenn diese Frage Frau Merkel so umtreibt, dann liefert ihre Bundesregierung auch beim Leistungsschutzrecht die Antwort. Genau wegen derartigen Gesetzesentwürfen und einer generellen Grundeinstellung, die Innovationen im Internetsektor hemmt und an Fortschrittsfeindlichkeit kaum zu übertreffen ist, kommt die deutsche Internetwirtschaft nicht vom Fleck.

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Kategorien Urheberrecht

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Mit dem Erfolg der Piratenpartei hat die Diskussion um die Reform des Urheberrechts an Intensität gewonnen. Dabei wundert mich nicht nur der aggressive Ton vieler Verfechter eines restriktiven Urheberrechts. Auch nicht, dass sie die Position der Piratenpartei und aller anderen Kritiker der aktuellen Regelung des Urheberrechts nicht verstehen oder eher nicht verstehen wollen. Mich wundert auch, dass diesen Leuten der Begriff »geistiges Eigentum« so wichtig ist, dass sie nicht einmal bemerken, in welche Widersprüche sie sich verwickeln, wenn sie »Urheberrecht« und »geistiges Eigentum« synonym setzen.

Ein gutes Beispiel ist ein Artikel des FAZ-Redakteurs Reinhard Müller, in dem sich die folgenden beiden Sätze finden:

Natürlich kann man über eine Verkürzung der Schutzfrist für geistiges Eigentum reden. Muss sie wirklich erst siebzig Jahre nach dem Tod des Urhebers enden?

Seit wann hat geistiges Eigentum eine Schutzfrist von siebzig Jahren nach dem Tod des Urhebers? Diese Schutzfrist gilt eben nur für das Urheberrecht. Die anderen geistigen Eigentumsrechte haben deutlich kürzere Schutzfristen. Für Patente z. B. gilt eine Schutzfrist von zwanzig Jahren. Wenn Reinhard Müller der Begriff des geistigen Eigentums so wichtig ist, warum tritt er dann nicht für eine Angleichung dieser Schutzfristen ein. Denn nur dann könnte man sinnvoll von einer Schutzfrist für geistiges Eigentum reden. Da sich aber zum Beispiel für Patente politisch nie und nimmer eine längere Schutzfrist durchsetzen ließe (das würde den Widerstand der gesamten Industrie provozieren), könnte diese einheitliche Schutzfrist maximal zwanzig Jahre betragen.

Dass dies keine Haarspalterei ist. zeigt die Diskussion um den strafrechtlichen Schutz des geistigen Eigentums. Als dieses Thema in der Europäischen Union diskutiert wurde, haben sich die Industrieunternehmen und ihre Branchenverbände mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, dass auch die Verletzung von Patenten strafrechtlich verfolgt werden soll. Dazu ist die Wahrscheinlichkeit, Patente unwissentlich zu verletzen, viel zu groß. Ein pauschaler strafrechtlicher Schutz von geistigem Eigentum wäre politischer Irrsinn.

Schon allein wegen seiner Undifferenziertheit ist der Begriff des geistigen Eigentums für eine sachliche Diskussion untauglich.

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Kategorien Urheberrecht, Patentrecht

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“A Private Note to Hedge-Fund Clients Gives a Strategist’s View; Ways to Gain From Global Pain” – so lautet der Untertitel eines Artikels im Wall Street Journal, auf den die NachDenkSeiten aufmerksam machen. Darin fassen die beiden Autorinnen Susan Pulliam und Liz Rappaport einen Bericht der Strategie-Abteilung von Goldman Sachs zusammen, der Hedge-Funds erklärt, wie sie aus der Finanzkrise in Europa Gewinn ziehen können.

»Wie kann ich aus dem globalen Leid Profit ziehen« – so offen wird das in deutschen Medien selten gesagt. Statt dessen werden die Einschätzungen und Empfehlungen von Großbanken, Rating-Agenturen und Finanzinvestoren mit einer Ehrfurcht zitiert, als handele es sich um ex cathedra ausgesprochene Glaubenssätze. OK, der Vergleich hinkt, schließlich glaubt in Deutschland kaum jemand an die päpstliche Unfehlbarkeit, aber die Ausagen der Finanzlobby werden trotz vielfältiger empirischer Widerlegung zumindest von den deutschen Mainstream-Medien offensichtlich als unfehlbar angesehen. Dabei sind sie vor allem erst einmal interessegeleitet – eben von dem Interesse: »Wie kann ich aus dem globalen Leid Profit ziehen?«

Wenn die Rating-Agentur Standard & Poors verkündet, sie würde Euro-Bonds »mit dem Rating des schwächsten Mitgliedslandes bewerten, also Ramschstatus«, dann bedeutet das noch lange nicht, dass Euro-Bonds eine schlechte Idee sind, sondern nur, dass eine Rating-Agentur meint, sie seien schlecht für die Gewinne der Finanzindustrie.

Überhaupt stellt sich die Frage, wie es sein kann, dass dieselben Rating-Agenturen, die mit ihren Super-Ratings für windige Kredit-Derivate (die heute schlicht als »toxisch« bezeichnet werden) die Finanzmarktkrise mitverschuldet haben, nun über die Kreditwürdigkeit von Staaten entscheiden dürfen, die sich wegen Finanzmarktkrise und Bankenrettung überschuldet haben. Und warum werden diese Rating-Agenturen immer noch so ernst genommen?

Das ist auch der Grund, warum es nie dazu kommen wird, dass die Finanzindustrie ernsthaft an den Kosten beteiligt wird, die die Bankenrettung verursacht hat. Denn bei jeder Maßnahme, die die Banken wirksam an den Kosten beteiligen oder gar die Macht der Finanzindustrie einschränken würde, gäbe es sicher genug Rating-Agenturen, »Analysten«, Banker und Finanz-»Experten«, die behaupten würden, dass diese Maßnahme verheerende Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft hätte. Bei der Glaubwürdigkeit, die sie in den Mainstream-Medien besitzen, müssten sie für diese Behauptung noch nicht einmal Argumente finden.

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Kategorien Neoliberalismus

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Heute morgen habe ich einen Kommentar im Standard gelesen. Der Autor Christian Fleck beschwert sich über die Desinformation zur Griechenland-Krise in den Medien. Die meisten Stellungnahmen kommen von Experten aus der Finanzbranche, die ihre eigenen Interessen verfolgen und deshalb verdächtig sind. Wirtschaftswissenschaftler, die eine neutrale Position vertreten könnten, melden sich kaum zu Wort. Die einzige Information, die ihm glaubwürdig erscheint, ist der Artikel in der NZZ mit dem Titel Rettung von Banken als wahres Ziel.

Das Schweigen der Wirtschaftswissenschaftler könnte mit dem Versagen der Wirtschaftswissensschaften zusammenhängen, das der Artikel kritisiert, den ich heute Mittag im Zug gelesen habe: The Financial Crisis and the Systemic Failure of Academic Economics. Den neoklassischen Wirtschaftswissenschaften fehlen die Instrumente, um die regelmäßigen Finanzkrisen zu erklären und die Fragilität eines Finanzsystems zu bestimmen. Es fehlt ihnen eine empirische Grundlage, weil sie sich auf abstrakte Modellkonstruktionen beschränken, die wiederum auf zu vielen kontrafaktischen Annahmen basieren: ceteris-paribus-Klausel, rationale Erwartungen (also im Grunde die Annahme, dass die Akteure genauso denken wie die Wirtschaftswissenschaftler) etc. Die Empirie würde weder dazu genutzt, diese Modelle zu überprüfen, noch um aus den empirischen Daten realistischere Modellannahmen abzuleiten.

Dennoch lassen sich auch aus den in der Presse veröffentlichten Artikeln einige Erkenntnisse ableiten, die den Eindruck hinterlassen, dass die bisherigen politischen Entscheidungen unsinnig sind und die Krise nur noch verschärfen:

  • Nicht nur die NZZ behauptet, dass die Hilfen für Griechenland in erster Linie der Bankenrettung dienen.
  • Die Austeritätspolitik hat die Krise nur noch verschärft. Es ist nicht zu erwarten, dass eine weitere Verschärfung der Austerität nun aus der Krise führt. Möglicherweise liegt die schlechte Bewertung der Rating-Agenturen einfach nur daran, dass sie ebenfalls davon ausgehen, dass diese Art der Rettung nicht aus der Krise führt.
  • Erschreckend ist das national-egoistische Handeln der europäischen Regierungen. Irgendwie scheinen sie die Länder der Euro-Zone immer noch als Wettbewerber zu sehen, die sich gegenseitig unterbieten, anstatt die Euro-Zone als einen gemeinsamen Wirtschaftsraum zu verstehen, in dem alle aufeinander angewiesen sind.

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Kategorien Neoliberalismus, Umverteilung

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Am letzen Montag war ich bei einem Vortrag von Chantal Mouffe im Deutsch-Amerikanischen Institut Nürnberg. Ihre Hauptthese war, dass die Demokratie einen Wettstreit, einen αγών zwischen verschiedenen Ideen und politischen Lagern darstellt. Der Fehler der Linken in Europa sei es, dass sie diesem Agon aus dem Weg geht und statt dessen versucht, die Wahlen „in der Mitte“ zu gewinnen.

Die Kommunalwahlen in Italien sind ein hervorragender Beleg dafür. Die Niederlage des rechtspopulistischen Parteienbündnisses um Berlusconi ist sehr viel heftiger ausgefallen, als ich es mir in meinen kühnsten Hypothesen erträumt habe. Der Überblick auf der Internetseite der Repubblica macht es deutlich: Das Mitte-Links-Bündnis hat die Stichwahlen fast überall gewonnen – auch in Städten, die als Hochburgen des Rechtsbündnisses galten, wie Cagliari, Novara oder eben Mailand.

Die Erfolge in Mailand und Neapel sind aber vor allem deshalb lehrreich, weil dort nicht die „offiziellen“ von der Demokratischen Partei unterstützten Kandidaten gewonnen haben, sondern Außenseiter, die sich viel klarer gegen die Rechtspopulisten positioniert haben. In Mailand hatte sich Giuliano Pisapia (der von 1996 bis 2006 als unabhängiger Kandidat auf der Liste der Rifondazione Communista im Parlament saß) bereits in den Vorwahlen gegen den gemäßigten Kandidaten durchgesetzt, der von der Parteispitze der Demokratischen Partei favorisiert worden war. In Neapel ist es ohnehin nur deshalb zu einer Stichwahl gekommen, weil die Stimmen des Mitte-Links-Lagers sich auf zwei Kandidaten verteilten, wobei es nicht der Kandidat der Demokratischen Partei in die Stichwahl schaffte, sondern der der kleinen liberalen Antikorruptionspartei Italien der Werte. Im Übrigen wird es mir immer unverständlich sein, warum die deutsche Presse Luigi de Magistris, der im Europäischen Parlament zusammen mit Gianni Vattimo und den Abgeordneten der FDP in der Fraktion ALDE sitzt, als „Linken“ bezeichnet. Wie dem auch sei: In beiden Städten haben nicht die von den Partei-Apparaten des Mitte-Links-Bündnisses favorisierten „gemäßigten“ Kandidaten gewonnen, sondern radikale Außenseiter.

Michael Braun kommentiert in der taz deshalb zurecht:

In Neapel wie auch in Mailand hatten Kandidaten Erfolg, die eigentlich als chancenlos galten – weil sie „zu radikal“ waren. Womöglich gewannen sie am Ende gerade deshalb.

Paolo Flores d’Arcais, Herausgeber der Zeitschrift Micromega und zur Zeit wohl der herausragende Theoretiker der unabhängigen italienischen Linken, bringt es in einem Video-Kommentar auf den Punkt:

La prima lezione di questa tornata elettorale è molto chiara: È una pura illusione, anzi una pura semplice idiozia l’idea che si vince al centro.
Die wichtigste Lektion aus diesem Wahlgang ist sehr klar: Es ist eine reine Illusion, ja es ist schlicht und einfach eine Idiotie zu denken, dass Wahlen in der Mitte gewonnen werden.

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Kategorien Demokratie, Italien