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Vor fünfzig Jahren gab es schon einmal eine Energiekrise. Als Reaktion darauf wurde ein Tempolimit eingeführt, und es gab autofreie Sonntage. Warum passiert so etwas heute nicht?

Damals schrieb ich mein erstes Gedicht, das ich seltsamerweise immer noch auswendig kann:

Es leuchtet hell das Morgenrot
Und heute da ist Fahrverbot
Die Autos stehen am Straßenrand
Die Schlüssel hängen an der Wand
Und die Straße ist ganz still
Auch wenn’s der Autofahrer nicht will

Ich war damals ein kleiner Junge, der sich für Autos begeisterte. In meinem Auto-Quartett interessierten mich nur die Modelle mit den besten Leistungsdaten: die höchste Höchstgeschwindigkeit, die beste Beschleunigung, die meisten PS. Kaum eines davon hätte gegen ein aktuelles Mittelklassefahrzeug eine Chance. Aber damals waren mehr als 100 PS und eine Höchstgeschwindigkeit über 180 km/h schon eine Ansage.

Schnelle Autos fand ich toll, aber die autofreien Sonntage haben mich noch mehr begeistert.

Ein Tempolimit dürfte für die Energieeinsparung effektiver und wichtiger sein. Aber autofreie Sonntage können unseren Horizont erweitern. Sie können zeigen, wie schön es ohne verstopfte Straßen ist und was ohne Auto alles möglich ist.

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Kategorien Ökologie, Politik

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Nicht erst seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine steigen die Energiepreise in Deutschland, weil die deutsche Wirtschaft immer noch viel zu abhängig von fossilen Energieträgern ist. Einige Medien geben dem nun einen Spin, wonach sich nun nicht diejenigen rechtfertigen müssen, die den Ausbau der erneuerbaren Energien ausgebremst und die Energiewende verschleppt haben, sondern diejenigen „umdenken“ müssen, die für einen schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien eingetreten sind.

Ein Beispiel dafür ist eine Überschrift auf der Website der Tagesschau:

Habeck und Lemke: Zwei, die umdenken müssen

Der Spin läuft so: Das Hauptproblem sind nicht die steigenden Energiepreise im Allgemeinen, sondern Deutschlands Abhängigkeit von russischem Gas. Die erneuerbaren Energien können nicht schnell genug ausgebaut werden, um dieses Problem zu lösen. (Das wird im Übrigen nicht empirisch begründet, sondern eher als Axiom vorausgesetzt.) Also müssen wir jetzt den Atomausstieg überdenken und den Kohleausstieg nach hinten verschieben. Der Klimaschutz verliert angesichts des Krieges in der Ukraine nun an Priorität.

Eine Bestätigung für diesen seltsamen Spin sieht Marcel Heberlein vom ARD-Hauptstadtstudio darin, dass Habeck selbst sage: „Es gibt keine Denktabus.“ Im Hinblick auf die Atomenergie kann er das ganz gelassen tun. Einer Laufzeitverlängerung haben die AKW-Betreiber bereits eine Absage erteilt. Wer den Neubau von Atomkraftwerken fordert, müsste erst einmal die Frage beantworten, warum selbst in Frankreich seit 20 Jahren kein neues AKW mehr ans Netz gegangen ist. Martine Orange hat in der französischen Online-Zeitung Mediapart Antworten dazu zusammengetragen und bezeichnet deshalb die Pläne des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur Wiederbelebung der Atomenergie als „Rückkehr des magischen Denkens“.

In seinem Artikel bei der Tagesschau äußert Marcel Heberlein auch leise Zweifel an seinem eigenen Spin:

Der russische Angriffskrieg und seine Folgen könnten den Klimaschutz noch weiter zurückwerfen. Oder aber: ihm vielleicht erst recht zum Durchbruch verhelfen.

Vielleicht sind es ja gar nicht Habeck und Lemke, die umdenken müssen, sondern diejenigen, die jetzt eine Rückkehr zur Atomenergie oder eine Verschiebung des Kohleausstiegs fordern.

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Kategorien Medien, Ökologie

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Heute vor 100 Jahren wurde im südfranzösischen Séte Georges Brassens geboren. Ich habe ihn kennengelernt, als ich als Schüler im Sprachlabor ein Lied von ihm gehört und transkribiert habe: La mauvaise herbe. Zuhause habe ich es später auf Gitarre geübt und nachgespielt. Es gehört immer noch zu meinen Lieblingsliedern.

Der Deutschlandfunk widmet ihm ein Kalenderblatt von Karl Lippegaus: Georges Brassens – mehr als ein Minnesänger der modernen Zeit.

Der Anarchist, Antimilitarist und antiklerikale Brassens strahlt Integrität aus, er wirkt weise und human. Das Chanson „Le Pluriel“ (Der Plural) ist die Unabhängigkeitserklärung eines Minnesängers der modernen Zeiten.

Die französische Online-Zeitung Mediapart hat seinem 100. Geburtstag bereits im Sommer ein ausführliches und kritisches Dossier von Antoine Perraud gewidmet: Brassens beim Wort genommen. Es macht deutlich, wie sperrig der Nonkonformist Brassens gerade für unsere Zeit ist – mit seiner Idealisierung des Mittelalters und seinem Frauenbild. Perraud weist auf sein fehlendes politisches Engagement hin und zeigt, wie sehr Brassens’ Anarchismus und sein Antiklerikalismus im Katholizismus verwurzelt sind. Eines ist klar: Brassens lässt sich heute genauso wenig vereinnahmen wie zu seinen Lebzeiten.

Brassens ist nun schon fast 40 Jahre tot. Seine Lieder sind immer noch quicklebendig. Dass dies auch für Menschen gilt, die erst nach ihm geboren wurden, zeigt diese schöne Interpretation eines Liedes, dass Brassens einst für seine estnische Lebensgefährtin Joha Heyman geschrieben hat, die er liebevoll „Püppchen“ nannte:

Das Zeitzechen im WDR erinnert stattdessen an den 950. Geburtstag von Wilhelm IX. von Aquitanien, der als der erste Troubadour gilt: 22. Oktober 1071 – Wilhelm IX. von Aquitanien wird geboren. Was für ein schöner Zufall, dass Brassens, der als Troubadour des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird, am selben Tag Geburtstag hat wie der erste Troubadour überhaupt.

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Kategorien Musik, Frankreich

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Ich lese gerade Franziska Meiers Buch über die Wirkungsgeschichte von Dantes Komödie: Besuch in der Hölle.

Die Rezeption Dantes in Frankreich beginne mit Christine de Pizan, die als gebürtige Italienerin Dante im Original lesen konnte. Sie lobte Dante als die bessere Alternative zu den frauenfeindlichen französischen Klassikern wie dem Roman de la Rose von Jean de Meung. Dieser Vergleich habe der Rezeption Dantes in Frankreich aber eher geschadet:

Unfreiwillig scheint sie damit der Ansicht vieler Franzosen bekräftigt zu haben, dass dieser Dante aus Florenz ein Epigone gewesen sei, der schamlos französische Vorbilder geplündert habe. Niemand hielt es danach mehr für nötig, sich die wegweisenden Neuerungen anzuschauen, die Dante in den allegorischen Roman gebracht hatte. (Franziska Meier, Besuch in der Hölle, S. 123)

Ich frage mich, ob die kontraproduktive Wirkung des Lobs, das Christine de Pizan Dante zuteil werden ließ, nicht auch zwei andere Gründe hatte: Die Bemerkung, Dante sei besser als die französischen Klassiker, dürfte den Stolz der Franzosen auf ihre eigene Kultur verletzt haben. Der Hinweis, dass Dante weniger frauenfeindlich sei, wird wahrscheinlich auch eher abschreckend als positiv gewirkt haben.

Mich hat dieser kurze Absatz neugierig auf Christen de Pizan gemacht. Ich habe mir gleich erst einmal Le trésor de la cité des dames heruntergeladen und werde sehen, wie ich mit dem Mittelfranzösisch zurecht komme.

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Kategorien Italien, Frankreich

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Aktuell flammt die Diskussion um den Bitcoin und andere Kryptowährungen wieder auf. Der Stromfresser Bitcoin, d.h. der enorme Energieverbrauch, den das „Schürfen“ von Bitcoins verursacht, bedeutet nicht nur hohe gesellschaftliche Kosten, sondern steht auch den Bemühungen um eine klimaneutrale Wirtschaft entgegen.

Die aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt sehr anschaulich, warum Bitcoin und andere Kryptowährungen nicht nur einen enormen gesellschaftlichen Schaden anrichten, sondern aufgrund ihrer Eigenheiten auch sonst keinerlei Wohlfahrtsgewinn bieten.

„Für Bitcoin und andere Kryptowährungen lässt sich als Zahlungsmittel – zumindest für legitime Zwecke – keinerlei Wohlfahrtsgewinn ausmachen. Aufgrund der hohen Volatilität taugen sie als Geld überhaupt nicht, und als effizientes Zahlungssystem sind sie ebenfalls unbrauchbar.“

Über diese eindeutige Kritik an den Kryptowährungen hinaus bietet die Studie einen differenzierten und gut verständlichen Überblick über andere digitale Innovationen im Geldwesen.

Weitere Informationen

Bibow, Jörg (2021): Digitalisierung im Zahlungsverkehr und Geldwesen: Banken und Geld im Umbruch – steigt die Wohlfahrt oder die Stabilitätsrisiken? Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung (= Study der Hans-Böckler-Stiftung 455).
ISBN 978-3-86593-371-3

Digitalisierung und damit verbundene Innovationen treiben den Strukturwandel in der Finanzwirtschaft an. Sie können den Zahlungsverkehr vielleicht sicherer, schneller und bequemer machen. Andererseits können sie zu Verwerfungen und Instabilitäten im Finanzsystem führen und Verbrauchern unbequeme Überraschungen und Verunsicherung bescheren. Welche Chancen und Risiken ergeben sich aus der fortschreitenden Digitalisierung des Geldes?

Jaeger, Lars (2021): High-Tech-Spekulation auf Kosten von Umwelt und Rechtsstaatlichkeit. Telepolis, 20. Februar 2021.

Die schmutzige Gier nach Bitcoins

Spinnler, Thomas (2021): Stromfresser Bitcoin: Klima-Kosten der Kryptowährung. Tagesschau.de, 22.02.2021 – 11:08 Uhr.

Der Höhenflug der virtuellen Währung Bitcoin hat sehr reale Nebenwirkungen: Damit neues Kryptogeld entstehen kann, verbrauchen Großrechner immer mehr Strom – inzwischen so viel wie die Niederlande.

Inzwischen ist bei der New York Times ein Artikel erschienen, der den enormen Energieverbrauch von Bitcoin sehr anschaulich macht. Der Artikel zeigt auch, in wie starkem Ausmaß dafür fossile Energien verwendet werden:

Jon Huang, Claire O’Neill and Hiroko Tabuchi: Bitcoin Uses More Electricity Than Many Countries. How Is That Possible? The New York Times, September 3, 2021.

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Kategorien Digitalisierung, Ökologie